Verschnaufpause in Palästina

Verhandelt wird zwischen Israelis und Palästinensern jetzt vorerst nicht, gekämpft wird auch nicht. In der Ruhe zwischen den Stürmen fühlen sich die Kämpfer der Westbank als Helden: „Ich weiß, wir können nichts erreichen, aber ich fühle mich stark“

aus Ramallah ANTJE BAUER

Saidas Handy klingelt. „Ein Freund sagt, es hat ein Bombenattentat gegeben, in Petah Tikva, bei Tel Aviv“, berichtet sie. Das Handy klingelt erneut. Saidas Gesicht verdüstert sich. „Man meint, das war mit den Israelis arrangiert“, meldet sie diesmal. „Es hat nur Verletzte gegeben, keine Toten.“ Sie klappt das Handy zu. „Wir wollen Blut fließen sehen. Denn nur damit kann man die Israelis beeindrucken. Unserer Regierung ist es egal, wenn unser Blut fließt. Aber der israelischen Regierung ist es nicht egal, wenn Israelis sterben. Deshalb muss man sie da treffen, wo sie am empfindlichsten sind.“

Saida ist eine gebildete, freundliche Frau von 26 Jahren, mit manikürten Händen, getönten Haaren und einem Damenhandtäschchen. Ob sie das ernst meint? „In einem Monat, wenn alles wieder ruhig ist, dann sehe ich das vielleicht anders. Aber jetzt stehe ich hinter den Leuten, die das machen. Hier haben in zwei Monaten 400 Märtyrer ihr Leben gelassen. Die Israelis machen uns das Leben zur Hölle. So kann es nicht weitergehen. Und die Verhandlungen waren auch völlig fehl am Platz.“

„Sollen wir mal schauen, ob Clashes sind?“, fragt Saida, als ginge es ums Kinoprogramm. Gucken wir mal. „Clashes“, Auseinandersetzungen, finden nur noch auf der anderen Seite von Ramallah statt, der von Jerusalem abgewandten. Der Ort der „Clashes“ ist der Übergang von Zone A, unter palästinensischer Kontrolle, zu Zone B, theoretisch unter gemeinsamer, de facto unter israelischer Kontrolle. Der Übergang ist von weitem zu erkennen: Schwarzverkohltes Gerümpel liegt auf der Straße, ein Autoreifen qualmt vor sich hin.

Die Straße ist durch riesige Betonblocks versperrt. Dahinter steht einsam ein israelischer Militärjeep. Vor den Betonblocks tänzelt ein Dutzend Jugendlicher herum, durch einige Büsche ein wenig geschützt, und versucht, die paar israelischen Soldaten zu provozieren.

Mit einer Zwille wird ein Stein abgeschossen und fliegt in hohem Bogen in Zone B. Dort rührt sich nichts. Nach einer Weile trollen sich die Jugendlichen. Nichts los heute. Keine „Clashes“.

„Jetzt sind Feiertage“, erklärt der vierzehnjährige Ahmad. „Da ist man mit seiner Familie zusammen. Deshalb passiert zur Zeit kaum etwas. Normalerweise geht man nach der Schule gemeinsam an den Übergang, um Steine zu werfen. Manche kommen auch aus den Dörfern hierher, weil dort nichts los ist, und nehmen hier an der Intifada teil.“ Ahmad ist ein sanfter, eher schüchterner Junge mit ein wenig Flaum auf der Oberlippe, der bis vor wenigen Monaten gerne Bücher las. Mit der Intifada hat er ein neues Selbst entdeckt. „Ich fühle mich wie ein Held“, sagt er. „Ich weiß zwar, dass wir nichts erreichen können, wenn wir mit Steinen auf Panzer werfen, aber ich fühle mich sehr stark. Und ich habe das Gefühl, ich kämpfe für unsere Unabhängigkeit.“

Die meisten Kämpfer machen dieser Tage eine Waffenpause. Selbst der junge israelische Soldat am Ortsausgang von Ramallah öffnet nur kurz die Schiebetür des Sammeltaxis, verzieht das Gesicht, als er die vielen jungen Männer darin sieht, und schließt die Tür wieder. Der Minibus fährt weiter. Die jugendlichen Passagiere verziehen das Gesicht.