Mit Handschellen zum Millionär

Die New Economy hat die Diskussion über Mitarbeiterbeteiligung neu entfacht. Während Bundeswirtschaftsminister Werner Müller sie aber gerne auf Aktienoptionen beschränken würde, wollen die Gewerkschaften auch über andere Formen reden

von BEATE WILLMS

Werner Müller hat die Zeit zwischen den Jahren gut genutzt. Kurz vor Weihnachten rettete der parteilose Wirtschaftsminister den Meisterbrief, dann erfand er die Frauenförderung neu, und jetzt will er Mitarbeiterbeteiligung zum „ersten Tagesordnungspunkt in der nächsten Runde des Bündnisses für Arbeit“ machen. Klientelorientiert grenzt er dabei den Diskussionsbedarf weitgehend ein: Es soll ausschließlich um eine Form der Mitarbeiterbeteiligung gehen: um Aktienoptionen.

Diese haben sich in den letzten 24 Monaten auch in Deutschland vom Bonusprogramm für Spitzenmanager in Konzernen zu einem Finanzierungsinstrument von Startups entwickelt. Denn die Unternehmen der so genannten Wachstumsbranchen sehen darin die Möglichkeit, qualifizierte Leute zu bekommen – ohne dafür allzu viel Geld selbst aufbringen zu müssen.

„120.000 Mark fest plus Optionen im Wert von 50.000 Mark“ gelten als gängige Formel für Programmierer Anfang 30. Nach Angaben des Unternehmerzusammenschlusses Arbeitsgemeinschaft Partner in der Wirtschaft haben es in diesem Jahr „einige hundert Unternehmer-Angestellte“ damit medienwirksam zum Millionär gebracht. Kein Wunder, dass noch vor wenigen Monaten bei Vorstellungsgesprächen oft länger über Aktienoptionen als über Gehalt verhandelt wurde.

Die Unternehmen können sich nicht nur über niedrigere Personalkosten freuen, sondern die Leute auch langfristig binden – deswegen ist oft die Rede von „goldenen Handschellen“ – und zum unternehmerischen Mitdenken verpflichten. Das schlägt sich nieder: Laut einer Studie im Auftrag des Dresdner Wirtschaftsministerium konnten beispielsweise die sächsischen Unternehmen mit Mitarbeiterbeteiligung ihre Produktivität um 14 bis 21 Prozent steigern.

Müller will nun diese Aktienoptionen günstiger besteuern, sie damit attraktiver und den „Forschungsstandort Deutschland wettbewerbsfähiger“ machen. Bisher wird die Option wie normales Einkommen behandelt. Versteuert werden muss sie erst, wenn sie Geld gebracht hat – dann wird die Steuer aber auf der Basis der Wertsteigerung berechnet – mit dem Einkommensteuersatz für einmalige Zuwendungen. Müller will das Finanzamt dagegen schon bei der Ausgabe zugreifen lassen – die Option würde damit wie eine Einkunft aus Kapitalvermögen behandelt. Unter Experten ist umstritten, was günstiger kommt – schließlich könnte sich der Kurs auch so entwickeln, dass sie die Option gar nicht mehr ausüben wollen. Dann wäre sie aber bereits versteuert. Dass Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) dem Vorschlag schon im Sommer eine Absage erteilte, ist jedoch ein Indiz dafür, dass zumindest er geringere Steuereinnahmen – also Vorteile für die Optionsinhaber – erwartet.

Interessant ist, dass Müller das Thema gerade zu einem Zeitpunkt wieder aufbringen will, zu dem die Euphorie über die New Economy und ihre wunderbaren Geldvermehrungsmöglichkeiten erst einmal vorbei ist.

Mit gigabell und teamwork.de haben die ersten im Nemax notierten Unternehmen Insolvenz angemeldet, erst gestern ließ LetsBuyIt.com den Aktienhandel aussetzen. Bei den nicht börsennotierten ist es noch schlimmer: Bei Vitago in München mussten 22 Beschäftigte gehen, bei der Nürnberger Bintech Communications 37, bei der Hamburger Popnet Cross-media GmbH 50. Und unzählige Startups verschwinden völlig sang- und klanglos vom Markt – oft ohne dass die Beschäftigten je in die Lage gekommen wären, die Aktienoptionen auch zu nutzen, die einen erheblichen Teil ihrer Arbeitsvergütung ausmachten.

Das würde eigentlich die Chance bieten, die Fixierung auf Aktienoptionen aufzubrechen und auch öffentlich wieder über andere Formen Mitarbeiterbeteiligung an Gewinn oder besser noch am Produktivkapital nachzudenken, hofft man bei den Gewerkschaften. Und damit könnten auch andere Überlegungen einen neuen Schub erhalten: Viele der Wirtschaftsministerien in den Ländern haben Programme zur Mitarbeiterbeteiligung aufgelegt. Und dabei geht es immer wieder auch darum, wie man Optionen absichern kann, damit bei einer Insolvenz nicht neben dem Arbeitsplatz auch noch die angesammelten Beteiligungserträge verloren gehen. Ein Patentrezept gibt es bislang nicht – auch weil die Frage bislang kaum öffentlich diskutiert wurde. Landes- oder Bankbürgschaften sowie Absicherungen durch Versicherungsunternehmen im Zusammenhang mit der Wirtschaftsförderpolitik sind noch die Ausnahme. Beim DGB würde man Müllers Vorstoß deswegen gern in diese Richtung umlenken.