Staunen machende Wandlungsfähigkeit

■ Silvesterkonzert der Hamburger Philharmoniker: Sicher ins nächste Jahrtausend

„Who is afraid of 20th century music?“ – So, nur zum Schein, rhetorisch fragend, lautete bereits zum zweiten Mal das Motto des Silves-terkonzerts der Hamburger Philharmoniker.

Um die Frage nach der Angst vor der Musik des 20. Jahrhunderts gleich vorweg zu beantworten: Das Konzert war restlos ausverkauft und die Stimmung im Publikum bestens, selbst nach weniger leicht verdaulichen Stücken wie Toru Takemitsus klangfarbenreichem, dabei sehr leisem Stück „Green“. Im Rahmen des vom Dirigenten Ingo Metzmacher selbst launig moderierten Silvesterkonzerts wurde sogar die brutal laute, lärmende Maschinenmusik „Die Eisengießerei“ von Alexander Mossolow und die ins aberwitzig Schnelle getriebene Musik von John Adams, „Short Ride in a Fast Machine“, mit offenen Ohren wahrgenommen. John Adams Minimalmusik im Maximaltempo wurde gar zu einem der virtuosen Glanzstücke des Konzerts.

Das Spektrum der gespielten Werke reichte weit: Ravels elegisch-verhangene „Pavane“ war in der exquisit abgetönten und ausbalancierten Wiedergabe durch die Hamburger ein Ohrenschmaus. Ebenso der schwungvoll und mit vielen kleinen, reizvollen Details ausmusizierte Marsch des jungen Erich Wolfgang Korngold. Und die von romanischer Klangsinnlichkeit geprägten Stücke von Arthur Honegger („Pacific 231“), Manuel de Falla („Feuertanz“) und Igor Strawinsky („Jeu d'artifice“) beeindruckten das Publikum kaum weniger als ein Galopp aus der Feder Dmitri Schostakowitschs. Dieses aus einer Operette stammende Stück erwies sich in der geradezu kongenialen Interpretation durch Metzmacher und sein Orchester als raffinierte Stilmelange mit wienerischen und pariserischen Zutaten und ebensolchem Charme: ein Genuss.

Bei all diesen Stücken schien das Orchester ganz in seinem Element zu sein, bei den von mittel- und südamerikanischer Tanzmusik inspirierten Stücken dagegen von George Gershwin („Cuban Dance“), George Antheil („Archipelago“) und Michael Dougherty („Desi“) nur bedingt. Da klang dann doch so manche Passage weniger frei und locker als eher akademisch swingend.

Leonard Bernsteins „Mambo“ zum Abschluss des Programms hingegen geriet schwungvoll und effektsicher. Das Eindrucksvollste am ganzen Konzert war allerdings die staunen machende Wandlungsfähigkeit der Hamburger Philharmoniker und die Begeisterungsfähigkeit des Hamburger Publikums. Auf den Live-Mitschnitt, der am 8. Januar als CD erscheint, darf man sich freuen.

Reinald Hanke