In Zukunft findet man Bremen an der Loire

■ Das Klimaszenario für die Unterweserregion in 50 Jahren ist nicht dramatisch: Die Vegetation ändert sich, der Osterdeich versumpft / Jetzt muss in den Küstenschutz investiert werden

Ungerecht geht es zu auf der Welt. Die Bewohner der Industrieländer verursachen mit ihren Lebensweisen und Lebensstandards eine Klimaänderung, die für Menschen in anderen Regionen der Welt lebensbedrohlich ist. Sie selber aber werden vom Anstieg der Temperaturen und des Meeresspiegels nicht wesentlich oder sogar zu ihrem Vorteil betroffen sein – mindestens für die Unterweserregion zwischen Bremerhaven und Bremen könnte man so das Ergebnis einer dreijährigen, fachübergreifenden Klimaforschung zusammenfassen.

Während bei der Klimakonferenz in Den Haag der Versuch, sich auf internationale Standards und CO2-Grenzwerte zu einigen, mit Pauken und Trompeten scheiterte, rechneten Wissenschaftler in Bremen, Geesthacht, Braunschweig und Hannover die grobmaschigen Daten der Klimafolgenforschung auf das hiesige Gebiet klein. Dabei geht das Szenario davon aus, dass sich die Temperatur im Jahresdurchschnitt um 2,7 Grad Celsius erwärmt. Der Meeresspiegel würde dann um einen guten halben Meter ansteigen, gemeinsam mit dem veränderten Tidenhub stiege der Pegel in der Weser um mindestens 70 Zentimeter.

2,7 Grad Celsius plus und 50 Zentimeter mehr Wasser

„Wir haben ein starkes Szenario gewählt, das aber durchaus im Bereich des Möglichen liegt“, sagt Projektleiter Bastian Schuchardt von BioConsult, „aber knallharte Prognosen kann man in diesem Bereich nicht abgeben“, ergänzt Michael Schirmer, der am Institut für Ökologie und Evolutionsbiologie an der Uni Bremen forscht und lehrt und das Gesamtprojekt koordiniert. „Nichts ist flüchtiger als das Wetter“, betont er. Und insofern ist es zwar nicht der berühmte Sack Reis, der in China umfällt, wohl aber – zum Beispiel – die Umweltpolitik des Milliardenvolkes, die das Klima auch kurzfristig beeinflussen kann.

Ob die überaus milde erste Dezemberhälfte in diesem Jahr nur ein Vorgeschmack oder schon ein Vorbote für's künftige Klima ist, muss daher für's Erste offen bleiben. „Fakt ist aber“, so Schirmer, „dass die sieben heißesten Sommer seit Aufzeichnung des Wetters in den letzten zehn Jahren gemessen wurden.“

Wachsen bald Palmen im Bremer Bürgerpark?

Das Projekt „Klimaänderung und Unterweserregion“ will also zunächst einmal ein Bewusstsein für klimatische Veränderungen schaffen, „Butter bei die Fische“ (Schirmer) geben, damit die scheinbar abstrakten Daten der Klimaforscher anschaulich werden.

Aber wie sieht es denn nun aus, das Wetter-Szenario für die Unterweserregion? Wachsen Palmen im Bürgerpark, kann der Stadtwerder gar nicht bebaut werden oder höchs-tens mit Häusern auf Stelzen? „Wenn der Küstenschutz ausreichend intensiviert wird, sind die Auswirkungen im Hinterland marginal“, fasst Schuchardt die relativ undramatisch erscheinenden Ergebnisse der sieben Teilprojekte, die in kurzer Zeit veröffentlicht werden, zusammen. Die im Jahresdurchschnitt um 2,7 Grad erhöhten Temperaturen führen zwar zu einer, so Schuchardt „schleichenden Verschiebung der Artenspektren“, die aber seien zurzeit nur von Fachleuten festzustellen. Als Referenzgebiet, das schon jetzt ein ähnliches Klima und auch eine entsprechende Flora und Fauna aufweist, nennt Schuchardt die Loire-Mündung im Nordwesten Frankreichs. Auf jeden Fall verlängern sich die Vegetationsperioden, so dass die Landwirtschaft „nicht gerade zu den Verlierern der Klimaänderung“ zählen würde.

Mit Ausnahme natürlich derjenigen Bauern, deren Wiesen und Felder ungeschützt durch Sommerdeiche der Überflutung preisgegeben wären. Manche Deichvorländer zwischen Küste und Brake wären von den Fluten betroffen. „Das ist vielleicht nicht von großer ökonomischer Bedeutung, aber emotional und aus Naturschutzsicht ist das natürlich wichtig.“

Auf jeden Fall auch von emotionaler Bedeutung wäre freilich die Überschwemmung der Osterdeichwiesen. „Die sind nach dem von uns berechneten Wasserstand nicht mehr zu benutzen“, sagt Projektleiter Schirmer, der auch Mitglied im Deichverband ist. Schon von daher wundert er sich, dass man – wie derzeit – im Winter Zirkussen erlaubt, vor dem Weserdeich ihr Zelt aufzuschlagen.

Wie schützt man sich vor einer künftigen Überflutung?

Vor den Deichen gilt grundsätzlich Überschwemmungsgefahr und laut Schirmer ist es nichts als Glück, dass die Weserregion, anders als England oder Norditalien, in diesem Winter noch nicht zu den Überflutungsgebieten gehört. Durch die vorteilhafte Lage zwischen den Azorenhochs und den Atlantiktiefs sind die großen Katastrophen bislang ausgeblieben, aber eine bis 2050 um 22 Prozent erhöhte Niederschlagsmenge könnte in Zukunft im Frühling für noch mehr „Bremer Wetter“ sorgen. Zusammen mit dem gestiegenen Meeresspiegel heißt das für die Projektleiter, dass Handlungsbedarf vor allem beim Küstenschutz besteht.

Im Szenario der norddeutschen Klimaforscher erhöht sich die Überflutungswahrscheinlichkeit von derzeit etwa einmal in 3.000 auf dann nur noch einmal in 100 bis 200 Jahren. Drei Varianten hat das Hannoveraner Franziusinstitut für diesen Fall durchgespielt: Die Erhöhung der Deiche würde mit mindestens 150 bis 200 Millionen Mark zu Buche schlagen und – so die sozialpolitische Prognose – die anliegenden Bauern auf den Plan rufen. Ein Sperrwerk an der Wesermündung ist mit fast einer Milliarde die teuerste Maßnahme aus dem Küstenschutzkatalog und außerdem ökologisch umstritten. Die aus Naturschutzsicht verträglichste Variante ist die Einrichtung neuer Überflutungspolder. Allerdings ist da der Flächenverbrauch sehr groß; Konflikte mit den Landwirten wären auch hier vorprogrammiert.

Deutschland hinkt im Küstenschutz hinterher

Falls demnächst auch noch die Kostenübernahme für Deichneubauten durch den Bund wackelt, können sich für die Kommunen schon kleinere Schutzmaßnahmen zu großen Problemen ausweiten. Und dann kann es, so warnt Schirmer eindringlich, plötzlich viel zu spät sein. „Deutschland hinkt da weit hinterher. In Holland gibt es längst so etwas wie Einsatzpläne für verschiedene Klima-Szenarien.“

Glück hat die Unterweserregion aber wiederum aus einem anderen Grund: „Mit den bestehenden Entwässerungssystemen“ so Bastian Schuchardt, „ist in den Marschen eine Infrastruktur vorhanden, die die Sensitivität der Region gegenüber dem Klimawandel erheblich mindert“. Die Wassermengen werden also besser aufgefangen. Und Schuchardt fügt hinzu: „In Bangladesh, das genau wie Teile unserer Gegend eigentlich zu tief liegt, gibt es solche Entlastungs-systeme nicht.“

Aber auch andere europäische Regionen werden heftiger betroffen sein. „Spanien und das südliche Italien, die Nordküste des Mittelmeers haben bereits jetzt Wasserstress“, weiß Schirmer. Die durch den Klimawandel bedingte Tro-ckenheit lässt die Orangen- und Mandelplantagen verdursten. Anders als hier, wo sich die Wirtschaftszweige von der Natur weitgehend entkoppelt haben, ist die Landwirtschaft dort auch von großer ökonomischer Bedeutung. „Hier können wir wegen der heftigeren Stürme höchstens Impulse für die Dachdeckerinnung und das Versicherungswesen erwarten.“

Elke Heyduck