Virtual Girls

■ Das Freizi Haferkamp hat sich das größte Geschenk gemacht: Den einzigen Rock'n'Ride Stuhl weit und breit

Aus dem Haus mit den bunt beklebten Fenstern schallt laut Musik, durchmischt mit Triumph- und Frustgeschrei von Kindern, die mit aller Macht einen Kickertisch bearbeiten. Von hier kam der Beitrag, der den zweiten Platz gewonnen hat. Ebru, Linda und Jennifer, 12, 13 und 14 Jahre alt, haben „ihr Freizi“ aus Papier und Pappe gebastelt. In die Fenster des Hauses haben sie Fotos von Seminaren geklebt, auf die Fensterläden Erklärungen dazu. Auf dem Dach des Hauses steht groß „Haus der Toleranz“.

Sie haben schon an anderen Wettbewerben mit Erfolg teilgenommen – zum Einen, weil sie einfach Spaß daran haben. Aber die aktuelle Lage ist ihnen auch bewusst. „Wir wollen Werbung für das Freizi machen, damit es nicht dicht macht“, sagt Ebru. Was in dem Fall im Stadtteil Walle los wäre, erfährt die Heimleiterin Doris Schuster regelmäßig vom zuständigen Polizeirevier, wenn das Freizi für kurze Zeit Sommerpause hat. „Das Heim liegt an einem sozialen Brennpunkt“, erklärt Schuster. „60 bis 70 Prozent der Kinder kommen aus sozial benachteiligten Familien.“ Die Verhältnisse zu Hause sind oft beengt. Treffen könnten sie sich nur auf der Strasse oder auf Spielplätzen, wo sie dann bestenfalls „rumhängen und Leute verarschen“, wie Jennifer sagt. 30 bis 40 Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 14 Jahren besuchen täglich das Freizi.

Da in diesem Stadtteil viele Ausländer wohnen, „knallen die Gegensätze hier aufeinander“, so Schuster. Durch den Kontakt im Jugendheim können die Kids das Unverständnis den fremden Kulturen gegenüber abbauen. Dabei helfen ihnen zum Beispiel Seminare, die zwischen den „Kopftuchmädchen und den bauchnabelfreien“ zum „kennenlernen der Kulturen“ führen sollen. In Zusammenarbeit mit der Polizei findet ein Anti-Gewalt-Projekt statt. Es gibt zweimal monatlich eine Kinovorführung, einen Mädchentag pro Woche. Höhepunkte für die Jugendlichen sind die Seminarfahrten, zum Beispiel in den Harz.

Neben der Musikanlage mit ohrenbetäubenden Kapazitäten, dem Kickertisch und einem kompletten Schlagzeug ist die neue Attraktion der Wettbewerbspreis: Ein „Rock'n'Roll“-Stuhl. Von wegen, Mädchen interessieren sich nicht für Technik! Gerade wegen seiner virtuellen Fähigkeiten haben sich die Mädchen den Stuhl ausgesucht. Mit dessen Hilfe erlebt die Videogame-Spielerin hautnah, sozusagen an eigenem Leibe, was sie der Spielfigur alles zumutet. Die Sitzfläche bewegt sich mit Hilfe von zwei Joysticks und Druckluft in alle Richtungen und lässt einen so den Hubschrauberflug simuliert erleben.

Die Krönung des Ganzen ist die 3D Brille, die zu dem Stuhl dazugehört und die die Illusion perfekt macht. Leider war das Zubehör nicht im Gewinn enthalten. Noch schlimmer, zwischen Bremen und Berlin schien es niemanden zu geben, der sich damit auskennt – den Spender Saturn Hansa inbegriffen. Nur durch Zufall fand Schuster einen Computerservice, der die Installation in drei Tagen durchführen konnte. Trotz dieser anfänglichen Widrigkeiten freut sie sich über die neue Attraktion im Heim. Thomas Scheithauer, Sozialpädagoge, bringt es stolz auf den Punkt: “Wir sind im Umkreis von 100 Kilometern garantiert die einzigen, die das haben.“

Das Jugendfreizeitheim wird aus Mitteln der Sozialsenatorin finanziert. Aufgrund der Einsparquoten im Jugendbereich wird wahrscheinlich eine von den drei Waller Jugendeinrichtungen schließen müssen. Noch ist nicht klar, ob es das Freizi Haferkamp treffen kann.