der homosexuelle mann . . .
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von ELMAR KRAUSHAAR

. . . weint sehr gerne. Weil er ein Mädchen ist! Eine Memme! Ein Waschlappen! Ja, es ist wahr – alles andere sind Lügen, schlechte Propaganda. Schauen Sie sich mal mit einem homosexuellen Mann einen Zarah-Leander-Streifen an, und warten Sie ab, bis sie ihre Lider über die Pupillen zieht, fast geschlossen, und die Oberlippe bebt ganz leicht. Blicken Sie dann nach links, Ihrem Begleiter in die Augen – oder in das, was Sie noch erkennen können in seinen Tränenfässern. Er schluchzt und schnieft und zerknüllt sein dreiundzwanzigstes Tempo. Die Welt geht unter bei jedem Ton.

Aber dann – Surprise! Surprise! – kommen die Weihnachtstage, mit Baum und roter Schleife, Iwan Rebroff und Dominosteinen. Und der Lizenz zur Rührung. Der Jahresetat an Tränen muss abgeheult werden. Nur der homosexuelle Mann, diese sensible Sonderanfertigung, bleibt kalt wie Hundeschnauze, gerade jetzt, pfeift sich eins und verdrückt sich in seine Stammkneipe.

Waren Sie mal am Heiligen Abend in einem Schwulenclub? Was glauben Sie, was Sie da erleben? Eine rote Kerze in der Tresenkurve, sonst nichts. Jedenfalls nicht mehr, als sie sonst vorfinden würden: viel trinken, nett plaudern, ein bisschen ficken, lecker rauchen, stiere Blicke hin und her, und morgens, kurz vor fünf, nochmal schnell abwichsen.

Mein Bekannter Luitpold verbringt so das Weihnachtsfest, seit siebzehn Jahren, seit er sein Schicksal in die Hände der Männer gelegt hat. „Was soll ich Weihnachten bei meiner Sippe? Sag’s mir! Sie stopfen die Gans in sich rein, starren schamlos und warten darauf, dass alles endlich vorbei ist. Das ist Familie! Und zum Höhepunkt der trauten Stimmung würde meine Mutter mich nach meinem Freund fragen, schließlich feiert sie das Fest der Liebe. Dabei weiß ich es und sie und jeder andere in der Runde, dass sie jede Gans der Welt schlachten würde zum Fest, käme ich endlich mit einer Frau nach Hause. So sieht’s doch aus!“

Luitpolds wirkliche Familie – das sind die Männer im Lokal. Bernie am Zapfhahn, Gregor der Chef, Miss Daniela auf ihrem Stammhocker, Fred und Markus und noch ein paar andere. Einmal, als er sich verliebt hatte in Luigi und sie beide vögelten, bis der Kronleuchter runterkam und der Betrüger schließlich verschwand mit seinem gesamten Kleiderschrankinhalt, da saßen sie alle um ihn rum im Lokal und hörten ihm zu, und er musste so viel heulen dabei, dass es ewig dauerte, bis er alles raushatte, aber sie blieben dabei und schauten ihn an ohne Hohn, bis Miss Daniela ihn schließlich in die Arme nahm und Gregor Mary Ross auflegte mit „Aufrecht gehn“, da war alles schon fast überstanden, und er wusste, wo er hingehörte.

Einmal hat es Luitpold versucht zu erklären: „In meiner Familie, also bei Vater, Muttern und so, da bin ich fremd. Wie auf Urlaub in Tunesien, weit draußen vor dem Hotel. Da sehen sie mich alle an, als ob sie irgendwas suchten an mir, wie ich spreche oder so. Selbst wenn keiner guckt, schauen sie doch alle. Vielleicht ist es ihnen peinlich, dass sie mich gar nicht sehen. Wer weiß.“