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Experimente am Reißbrett

Grenzen von Idealen: Pas de café, pas de télé, pas de sexe  ■ Von Christiane Müller-Lobeck

Romed Wyder ist seine Frage sehr ernst. Humor ist rar gesät in seinem jüngsten Film, Pas de café, pas de télé, pas de sexe. Vor allem endet der Spaß immer dann, wenn es um die Grundfrage geht, die er in der Genfer Hausbesetzerszene angesiedelt hat. Arno lebt in so einem besetzten Haus. Eines Tages kehrt sein bester Freund Maurizio, auch ein Besetzer der ersten Stunde, mit seiner Freundin Nina aus Paris zurück. Da Nina Französin ist und die Schweiz nicht in der EU, soll sie der Arbeitsgenehmigung wegen Arno heiraten.

Doch „shit happens“, könnte man sagen, denn als Maurizio für ein paar Tage nach Paris zurück muss, „passiert es einfach so“, wie Arno es ausdrückt, dass sich zwischen ihm und Nina eine Liebesgeschichte entspinnt. Allerdings weigert sich Nina, eine Entscheidung zwischen den beiden Freunden zu treffen.

So viele Dreieckskonstellationen die Filmgeschichte aufzuweisen hat, so ungewöhnlich ist immer noch diese. Vor allem ist sie es der Verteilung der Geschlechter wegen, und weil es der Frau in keiner Sekunde um die Wiederherstellung einer monogamen Situation geht. Für diese Konstellation lieferte Ernst Lubitsch mit Serenade zu dritt die bis heute unerreichte Vorlage. Er wählte das Setting einer heruntergekommenen Bude in Paris, in der die beiden Freunde George und Tom, der eine Maler, der andere Schriftsteller, als unbekannte Künstler gemeinsam ihr bohémistisches Leben führen. Im Zug lernen sie die kaltschnäuzige Werbezeichnerin Gilda kennen und verlieben sich beide in sie.

Es dauert nicht lange, da gesteht sie bei einem ersten Besuch in der Wohngemeinschaft der beiden – „Huch, jetzt ist mir passiert, was sonst nur Männern passiert“ – dass sie diese Zuneigung erwidere, für jeden von ihnen, und dabei plumpst sie allenthalben halb ohnmächtig auf das einzige Sofa der Behausung, eine Unmenge an Staub aufwirbelnd. Die Lösung ist schnell gefunden: Die drei treffen ein Gen-tlemen's Agreement, das besagt, Gilda werde bei ihnen einziehen, sie künstlerisch beraten, damit aus ihnen mal was werde, und dann hört man die unglaublichen Worte, besiegelt mit drei übereinander geschlagenen Händen: „Aber Sex bleibt außen vor“. Gesprochen – und im weiteren Verlauf gebrochen – wurden diese unglaublichen Worte im Jahr 1933.

Doch so ungewöhnlich ist gar nicht, was Lubitsch da in seiner vor witzigen Dialogen nur so strotzenden Geschichte – jeder einzelne ein Schlagabtausch – der staunenden Zuschauerin des angehenden 21. Jahrhunderts bietet. Verwunderung auslösen sollte eher, dass solche Beziehungsentwürfe erst Anfang der 30er Jahre das Hollywood-Kino erreichten. Modernisten aller Couleur haben in den 20ern und Anfang der 30er, bis zum bald darauf einsetzenden Backlash, immer wieder mit solchen Formen des Zusammenlebens experimentiert. So lebte beispielsweise das Künstlerpaar Bryher und MacPherson Anfang der 30er Jahre in einer in jede Richtung offenen Dreiecksbeziehung mit ihrer Freundin und Lyrikerin Hilda Doolittle-Aldington, genannt H. D., und dies in einer Villa, die MacPherson von dem Architekten Hermann Henselmann eigens für solche „anderen“ Lebensformen hatte bauen lassen.

Wenn ein Filmemacher wie Wyder heute seine ProtagonistInnen an der entstandenen Situation scheitern lässt, weil die beiden Männer nicht in der Lage sind, sie auszuhalten, dann steht mehr auf dem Spiel, als bloß die Realisierbarkeit anderer Beziehungsformen als der üblichen. In einem Interview gab der 1967 Geborene zu bedenken: „Was das Ende betrifft, könnte man eine Lösung in 68er Art erwarten. Aber die Hauptfiguren des Films wissen, dass diese Lösungen nicht mehr gültig sind. Sie sind also gezwungen, sich neue auszudenken ...“

Doch auch den 68ern ging es, wie den Avantgardisten der 20er und 30er Jahre, nicht allein um andere Beziehungs- und Wohnformen. Auch wenn es sich oft so darstellt, als seien die in den Kommunen erprobten Formen von sexuellen Beziehungen in erster Linie auf Kosten der Frauen gegangen und daher bis heute zu verwerfen – befreit werden sollte mehr als der Sexualtrieb, der männliche zumal. Erprobt werden sollte, ob es möglich ist, die Revolution nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verlegen, wie es die dogmatische Linke stets getan hat.

Statt dieses freudlosen Daseins sollte die Kunst, sollte das Experiment sofort ins Leben Eingang finden. Dieses Experiment lässt sich aber nicht am Reißbrett oder in einem Film exemplarisch für gescheitert erklären, wie es Wyder macht. Denn die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen es jeweils in einem spezifischen historischen Moment stattfinden kann, verändern sich permanent. Und so liefert der Film einiges Anschauungsmaterial für den fortschreitenden Mangel an Experimentierfreude in der Hausbesetzerszene.

tägl., 20.30 Uhr, 3001

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