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: HELMUT HÖGE über Namedropping

Ostelbische Ortswechsel

Unter Berufung auf Lenins Unterscheidung der deutschen Bourgeoisie – in eine Friedens- und eine Kriegspartei –, datieren sowjetische Historiker den militanten Antikommunismus der Letzteren auf die Zeit der Vertragsverhandlungen von Rapallo. Seitdem wurde stets von deutscher Seite behauptet: der Bolschewismus stehe „auf tönernen Füßen“, „wir“ brauchen die Ukraine, die dortigen Völker lechzen nach „unserer“ Befreiung.

Seit der zweiten „Niederlage“ dieses Denkens konzentrieren sich die Schlieffen-Pläne dieser Antikommunisten auf das von den Sowjets dominierte Ostdeutschland – auf die „Brüder und Schwestern in der Zone, die das Schicksal der deutschen Teilung zu tragen haben“. Und so war die Wiedervereinigung – mindestens seit den Märzwahlen 1990 – denn auch ein Ostfeldzug, ein „Barbarossa-Plan“ im Kleinen.

Was schon daraus hervorgeht, dass der Verfasser des einstigen Drehbuchs für die wirtschaftliche Ausbeutung der Sowjetunion – in der Leitung des „Wirtschaftsstabes Ost“, Dr. Friedrich Ernst, dessen Richtlinien in die berühmte „Grüne Mappe“ Görings aufgenommen wurden, danach – bis 1957 – das offizielle westdeutsche Politikszenario für die Wiedervereinigung schrieb, in dem alles – bis hin zur Auflösung der LPGs und sogar schon bis zur Schließung der Kaligrube Bischofferode – geregelt war. Als Rohwedder davon abweichen wollte, wurde er erschossen, statt seiner kam die dem westdeutschen Monopolkapital botmäßigere Birgit Breuel.

Die Treuhand-Schmutzarbeit ist erledigt, aber nun muss noch gehörig an der ideologischen Front nachgebessert werden. Dabei geht es vor allem um die Durchsetzung neuer Begriffe, wie die Nationalhistoriker – Stürmer, Stölzl, Nolte etc. – rechtzeitig betonten.

Nach 1945 spiegelte die ostelbische Geografie in der Öffentlichkeit vor allem markante Punkteder Niederlage wider, das heißt man kannte vornehmlich Orte wie: Torgau (wo die Russen und die Amis sich trafen), die Seelower Höhen (wo die letzte Schlacht vor Berlin stattfand), dazu die Festung Küstrin, ferner Oranienburg-Sachsenhausen (das KZ), das KZ Buchenwald (statt Weimar), Peenemünde und das V2-KZ Dora bei Nordhausen sowie das zerbombte Dresden und so weiter.

Die wegen ihres Antifaschismus von Befreiung sprechende DDR überlagerte dann in den darauf folgenden Aufbaujahren ihres Sozialismus diese „Orte des Schreckens, die wir niemals vergessen dürfen“ sukzessive durch Produktions-Namen, sprich -Siege, die mit proletarisch-heldischen Taten flankiert wurden: Orwo-Wolfen, Sket-Magdeburg, Zeiss-Jena, Uhren aus Ruhla, Plaste und Elaste aus Schkopau, Eberswalder Würste, die Warnow-Werft, Stahl aus Hennigsdorf und Eisenhüttenstadt, Trabant aus Zwickau, Fernseher aus Staßfurt – das ging bis hin zum „Bitterfelder Weg“.

Nun aber, da das meiste davon inzwischen jämmerlich abgewickelt wurde, müssen auf Teufel komm raus neue Orte her. Jeder Lichterkettenbürger im Westen kennt inzwischen die folgenden: Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Guben, Cottbus, Dolgenbrodt, Eggesin, Eberswalde (wo jetzt gerade die letzte Wurstproduktion abgewickelt wird – übrig bleibt der Mord an einem Mosambikaner), auch die „Normannenstraße“ wäre in diesem Zusammenhang zu nennen.

Glaube keiner, dass sich das sozialdemokratische Apotheker-Eheepar im sächsischen Sebnitz den Neonazimord an ihren Sohn im Schwimmbad einfach ausgedacht hat – die „unkritische Paranoia“ dieser beiden Wessis hat sich einfach in den Mainstream of Consciousness eingeklinkt und dazu „Fakten“ zusammengetragen.

Jeder kann sich inzwischen derart vorpogromieren – am Computer. Einmal mit einer quantitativen Analyse: indem man alle möglichen Orte in die Suchmaschine eingibt – da kommen dann eben nur – jedenfalls in nennenswerter Anzahl – die entsprechenden Orte der Ausländerfeindlichkeit vor. Die qualitative Analyse – etwa des taz-Archivs – ergibt dann zum Beispiel noch: Eberswalde wurde seit der Wende 403-mal erwähnt: 320-mal gegeißelt – wegen neonazistischer Umtriebe –und 83-mal gelobt – wegen ökologisch guter Taten. Das ist der gewöhnliche westdeutsche Postfaschismus. Sonst nichts!