Dritter Frühling im Eiskanal

Thorsten Dauth war Fußballtorwart und Olympia-Teilnehmer im Zehnkampf – am Wochenende startet er im Unterhachinger Bob bei den Deutschen Meisterschaften und träumt von Salt Lake City

aus UnterhachingCLAUDIO CATUOGNO

Wenn es nach Christoph Daum gegangen wäre, vielleicht hätte sich Thorsten Dauth nie in diesen Schlitten gesetzt. Wäre nie mit Tempo 100 einen Bobkanal hinuntergesaust, wie er es am kommenden Wochenende in Königssee wieder tun wird. Vielleicht hätte auch niemand über ihn gesagt: „Von seinen Möglichkeiten her ist er Olympiasieger-Kandidat für 1996.“ Hätte er Christoph Daum damals nicht abgesagt – es wäre wohl vieles anders verlaufen im Leben des Thorsten Dauth.

1988 war Daum Trainer beim Fußball-Bundesligisten 1. FC Köln und wollte Dauth als Torwart verpflichten. „Sie sind mein zweiter Mann“, hatte Daum gesagt, sein erster Mann war damals Bodo Illgner, der Keeper der Nationalmannschaft. Daum wollte Dauth, und Dauth wollte auch. Bundesliga-Profi werden und Geld verdienen. Fast hätte er dafür sein Sportstudium aufgegeben und wäre aus dem hessischen Klein-Karben nach Köln gezogen. Dort wollte man ihn dann vorerst aber nur als Vertragsamateur verpflichten, um ihn auch im Ersatzteam in der Landesliga einsetzen zu können. „Wer hätte mir garantiert, dass nicht eine neue Nummer Zwei kommt und ich bei den Amateuren versauere“, sagt Dauth. Landesliga, das hatte er zu Hause auch. Also blieb er Torwart beim KSV Klein-Karben. Das ist er bis heute. Unter anderem.

Das mit dem Olympiasieger-Kandidaten Dauth kam später, 1991. Das Zitat stammt vom ehemaligen Zehnkampf-Europameister Guido Kratschmer, aber eigentlich sagten damals alle solche Dinge über Dauth. Sprachen vom „Rohdiamant Dauth“ und vom „Phänomen Dauth, das alle Leichtathletikregeln auf den Kopf stellt“. Der junge Torwart war plötzlich zum Hoffnungsträger unter den deutschen Zehnkämpfern geworden.

Diesmal war er an keine Entscheidungskreuzung gekommen, wie damals bei der Frage für Daum oder gegen Daum. Diesmal lag das irgendwie auf dem Weg. Als der Deutsche Jürgen Hingsen im olympischen Zehnkampf von Seoul einen Fehlstart nach dem anderen hinlegte, dachte sich Dauth: „Das kannst du auch.“ Ein Jahr später ließ er sich für ein Wochenende vom Fußball beurlauben. Seither erzählt man sich unter Zehnkämpfern die Geschichte mit den Turnschuhen.

Sie handelt davon, dass Dauth fast ohne Training und mit nur einem Paar Turnschuhen 1989 auf Anhieb Vierter der deutschen Juniorenmeisterschaften wurde. Mit nur 3,40 Metern im Stabhochsprung – jeder Kreismeister kommt höher. Mit dem Stab wurde Dauth nie besonders gut, trotzdem schaffte er schon nach 13 Monaten über 8.000 Punkte. Normalerweise, heißt es, brauche ein Mehrkämpfer sieben bis acht Jahre, um in diesen Bereich vorzudringen. Doch Dauth wurde schon 1991 Zweiter der Deutschen Meisterschaften, Europapokalsieger mit der Mannschaft und Zehnter der WM. 1992 startete er bei den Olympischen Spielen in Barcelona. „Das wollte ich immer machen“, sagte Dauth damals, „Zehnkampf – es ist eine Ideologie.“

Mit dem prophezeiten Olympiasieg ist es dann nichts geworden. In Barcelona wurde er 17., 1996 verpasste Dauth die Qualifikation für Atlanta und hörte auf. Verletzungen, Vereinswechsel, Familie. „Wie’s halt so ist.“ Und müsste man nicht auch ein bisschen fanatisch sein, um wirklich ganz nach oben zu kommen? Dauth muss nicht lange nachdenken, bis er sagt: „Fanatisch bin ich eigentlich schon.“

Vielleicht sitzt er deshalb jetzt im Zweier- und im Viererbob des Unterhachinger Nachwuchsfahrers Leonhard Sanktjohanser. Als „Bremser“, wie die Anschieber im Eiskanal offiziell heißen. Vielleicht fährt er deshalb regelmäßig die 500 Kilometer von Klein-Karben bis in den südlichsten Zipfel Oberbayerns, um auf der Hausbahn der Hachinger am Königssee zu trainieren. „Was das Thema Sport betrifft“, sagt Dauth, „bin ich wohl ein rastloser Mensch.“

Aber das ist nicht die ganze Erklärung für diese nicht wirklich geradlinige Sportlerkarriere. Denn Dauth sagt auch: „Ich mache keinen Sport nur zum Spaß, ich brauche eine Aufgabe, die ich löse.“ Wenn am Wochenende in Königssee die Deutschen Meisterschaften stattfinden, lautet die: möglichst flink anschieben, möglichst geschmeidig in den Bob gleiten, möglichst viel Gewicht auf die Kufen bringen. Dafür ist Dauth wie geschaffen: Er ist schnell (100 Meter in 10,58 Sekunden) und schwer (110 Kilo).

In den Rennen der laufenden Saison löste Dauth seine Sache bisher erstklassig und erreichte oft die besten Startzeiten. Allerdings waren beide Schlitten Sanktjohansers für den Europacup qualifiziert – im Bobsport ist das hinter dem Weltcup nur die Zweitklassigkeit. Trotzdem könnte Dauth auch in Sachen Erfolg im richtigen Bob sitzen. Denn im Eiskanal entscheidet vor allem das beste Material über den Sieger.

So übernahm Newcomer Andre Lange den Bob von Wolfgang Hoppe und wurde prompt Weltmeister. Sanktjohanser ist 27, sein Unterhachinger Teamkollege, Mehrfach-Weltmeister und Olympiasieger Christoph Langen, ist 38. Bei den Deutschen Meisterschaften fehlt Langen wegen einer Muskelverletzung. Und überhaupt will sich „der ganz große Ehrgeiz“ bei ihm „in diesem Winter nicht mehr einstellen“. Sanktjohanser versichert unterdessen, dass er „ganz bestimmt weder auf Langens Karriere-Ende noch auf seinen Schlitten“ spekuliere. Aber wofür ist man schließlich der zweite Mann im Verein?

Thorsten Dauth jedenfalls träumt schon von den Olympischen Spielen 2002 in Salt Lake City. Und bis dahin? „Gut sein, ein Ziel haben, verbessern, gewinnen.“ Das klingt, als wäre Christoph Daum doch einmal sein Trainer gewesen.