In Italien herrscht helle Aufregung

Der Verdacht, Soldaten könnten im Balkan radioaktiver Kontamination ausgesetzt gewesen sein, veranlasst die Regierung in Rom zu hektischen Aktivitäten, um die Bevölkerung zu beruhigen. In der Sache wiegelt sie jedoch ab

ROM taz ■ Das Fernsehen gibt in den Nachrichten die Nummer der Telefon-Hotline für Soldaten der italienischen Balkankontingente und ihre Angehörigen bekannt, das Verteidigungsministerium setzt einen Krisenstab ein; Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi ruft öffentlichkeitswirksam Verteidigungsminister Sergio Mattarella an, um endlich „klar zu sehen“. Mattarella wiederum begibt sich auf einen Kurztrip nach Sarajewo und schickt seinen Staatsekretär in den Kosovo. Italien ist in heller Aufregung angesichts der sich häufenden Todesfälle unter den seit 1995 auf dem Balkan stationierten Soldaten.

Fünf Leukämie- und ein Hautkrebsopfer sind bisher zu beklagen. Als möglicher Auslöser gilt radioaktive Kontamination im Gefolge des Einsatzes urangehärteter Geschosse durch die Nato im Bosnien- und im Kosovokrieg. Auf den ersten Blick scheint es auch so, als teile die Regierung diesen Verdacht. Sie benannte einerseits eine Expertenkommission unter der Leitung des in Italien führenden Leukämieforschers Franco Mandelli; andererseits setzte sie durch, dass der Politische Ausschuss der Nato am nächsten Dienstag die Verwendung der Urangeschosse auf dem Balkan diskutieren wird.

In forschem Ton ließ Ministerpräsident Giuliano Amato wissen, die Nato müsse alle Informationen offen legen und vor allem präzise Karten über die Orte in Bosnien liefern, an denen die radioaktive Munition verschossen wurde. Doch eine Krise zwischen Italien und der Nato ist kaum zu erwarten, denn so aufgeregt die Reaktionen in der Form sind, so sehr wird in der Sache abgewiegelt. Nein, die wissenschaftliche Kommission habe ihre Arbeit noch nicht aufgenommen, teilte Franco Mandelli der taz mit, und selbst zu der Frage, ob die Zahl der Leukämietoten unter den Soldaten signifikant höher als im Durchschnitt der Bevölkerung liege, könne er nichts sagen; es sei unseriös, schon jetzt Ursache-Folge-Zusammenhänge herzustellen.

Mit der entgegengesetzten Argumentation kommt Verteidigungsstaatssekretär Marco Minniti zum gleichen Ergebnis. Er informierte die Öffentlichkeit, die wissenschaftliche Kommission sei schon eifrig an der Arbeit, um gleich darauf deren Aktivität mit einer tatsachenwidrigen Behauptung für überflüssig zu erklären: Gerade weil in Italiens Balkankontingenten eine Häufung von Leukämiefällen aufgetreten sei, in den Kontingenten anderer Nato-Staaten dagegen nicht, könne ein Zusammenhang mit einer Kontamination durch Urangeschosse ausgeschlossen werden. So sind die italienischen Interventionen bei der Nato eher für den Hausgebrauch bestimmt.

MICHAEL BRAUN