Kleine Revolution im Kuhstall

Der BSE-Skandal zwingt Rot-Grün zum Handeln. Forderungen von Umweltschützern werden aufgegriffen: Die Landwirtschaft soll grün werden

von BERNHARD PÖTTER

Im Anfang war das Kanzlerwort. Man müsse „weg von den Agrarfabriken“, betonte Gerhard Schröder Ende November im Bundestag bei der Debatte um den Rinderwahn, der ganz plötzlich auch ein deutsches Problem geworden war. Kaum jemand nahm an, dass der Medienkanzler und Currywurst-Fan Schröder das ernst meinte. Doch das Papier, das seine Landwirtschafts- und Umweltministerien jetzt als Reaktion auf die BSE-Krise zusammengestellt haben, soll zeigen: Wir haben verstanden.

Denn in der vierseitigen Beschlussvorlage aus den Häusern Funke und Trittin stehen fast deckungsgleich die Forderungen, die von Grünen und (beamteten) Umweltschützern seit Jahren beim Thema Landwirtschaft erhoben werden: Weg von der billigen Massenproduktion, die Preise und Qualität drückt, weg mit den umweltschädlichen Subventionen. Die von den Staatssekretären Rainer Baake (Umwelt) und Martin Wille (Landwirtschaft) angemahnten „Konsequenzen aus der BSE-Krise für die Landwirtschafts- und Umweltpolitik“ formulieren eine Politik, die die Landwirte dafür bezahlt, Qualität zu produzieren und die Landschaft zu schützen. „Das ist noch keine flächendeckende Öko-Landwirtschaft“, sagt die agrarpolitische Sprecherin der grünen Fraktion, Uli Höfken. Dafür fehlt etwa das Verbot mineralischer Futtermittel oder die Verpflichtung, Schlachttiere nur auf dem eigenen Hof aufzuziehen und sie nicht durch ganz Europa zu karren. Doch immerhin sollen nach diesem Konzept der Öko-Landbau in zehn Jahren auf 20 Prozent der Fläche ausgedehnt werden, ein Ökosiegel die Verbraucher informieren, endlich sollen die Inhaltsstoffe der Futtermittel deklariert werden. Bezahlt werden soll nicht mehr nur die Produktion, sondern „Leistungen im Naturschutz und in der Landschaftspflege, Energieerzeugung aus Biomasse und sanfter Tourismus“. Vor allem sollen Agrarsubventionen nach ökologischen Kriterien vergeben werden. „Agrarsubventionen, die Umweltbelastungen bewirken oder verschärfen, sind abzuschaffen“ – dieser Satz könnte Sprengstoff für die Agrarindustrie in Deutschland sein. Insgesamt ist der Vorstoss von Wille und Baake ein großer Schritt für die „normale Landwirtschaft“ in Richtung Öko-Landbau, eine kleine Revolution im Kuhstall.

Noch vor zwei Monaten, heißt es aus der Regierung, hätte das Landwirtschaftsministerium einem solchen Papier niemals zugestimmt. Bauernschlau hat das Umweltministerium die BSE-Panik im Land genutzt, um in dem Papier Standards festzulegen, denen man nun erst einmal widersprechen muss. Denn die mächtige Lobby der Agrarindustrie, die Hersteller von Pestiziden, Kunstdüngern und vor allem Futtermitteln, sind durch die BSE-Skandale in die Defensive geraten. „Eine mögliche Klage über Arbeitsplatzverluste bei der Tiermehlherstellung findet momentan kein großes Echo in der Bevölkerung“, heißt es aus der Regierungsfraktion. Die Bauern selbst soll ein anderes Argument ruhigstellen. Denn die Subventionen für die Landwirtschaft müssen sowieso neu geregelt werden. Die Erweiterung der EU nach Osten bringt sonst ab 2003 mit Polen ein Land in die Union, das den Agrarhaushalt sprengen würde. Und bereits seit Jahren moniert die Welthandelsorganisation WTO, die EU dürfe nicht weiter ihre Bauern mit der Gießkanne subventionieren und ihren Markt gegen Importe aus den Entwicklungsländern abschotten. Wenn es Subventionen gibt, müssen die Kriterien klar sein: zum Beispiel eben Umweltschutz und artgerechte Tierhaltung.

Bereits jetzt können die EU-Staaten solche Vorschriften machen, haben sie 1998 auf der Agenda 2000 in Berlin beschlossen. Diesen Spielraum, den die Bundesregierung bislang nicht nutzte, wollen die Politiker nun in Richtung grüne Landwirtschaft nutzen. Keine Wende um 180, „sondern höchstens um 90 Grad“, sieht deshalb der Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium, Martin Wille. „Den Landwirten muss klar sein, dass es mit den Subventionen nicht so weitergeht wie bisher“, sagte Wille gegenüber der taz. Er habe durchaus „Bedenken“, dass sein Konzept bei den Bauern durchsetzbar sei. So erklärte gestern auch der Deutsche Bauernverband, eine Stellungnahme zu dem Papier werde es erst einmal nicht geben. Nächste Woche wolle man darüber diskutieren.

Wenn der öffentliche Druck ausreicht, damit die Agrarminister der Länder in zwei Wochen das Papier verabschieden, könnte sich die deutsche Landwirtschaft in der Tat „weg von den Agrarfabriken“ bewegen. Ganz so einfach ist die BSE-Krise allerdings nicht zu lösen. Immerhin sind alle bisherigen deutschen BSE-Rinder auf kleinen, bäuerlichen Höfen gefunden worden. Eine „Agrarfabrik“ war bislang nicht darunter.