Ponys mit Adduktorenverschiebungen

■ Beim Astra-Cup setzten die Amateure-Teams vom HSV und von Vorwärts-Wacker die Akzente

Es gehört zu den Rätseln der Kulturgeschichte, warum das Guiness Book of World Records Bestleistungen im Pfahlsitzen penetrant auflistet, vergleichbare Rekorde im Hallenfußball aber konsequent ignoriert. Wäre ein Abgesandter der irischen Brauerei am Samstag in Quickborn gewesen und hätte er gesehen, wie die Spieler von Vorwärts-Wacker Billstedt dort mit vorletzter Kraft übers Parkett krochen – vielleicht stünde ein neuer Eintrag bevor.

Der Auftritt im Südholsteinischen war der vierte Hallentag in Folge für die Billstedter. Schuld an der Extrem-Belastung trugen sie selbst, denn in diesem Jahr hatte das Team des ehemaligen St.-Pauli-Spielers Uli Schulz am Mittwoch die vierjährige Siegesserie der Amateure des FC St. Pauli beim Umbro-Cup beendet – und sich damit diesem Turniergewinn für den Astra-Cup am Donnerstag und Freitag qualifiziert.

Beim Turnier der Guiness-Kollegen brachten die Billstedter allerdings keine Rekorde in Gefahr. Auch wenn sie ihre drei Gruppenspiele allesamt hätten gewinnen können. „Wir haben geackert wie ein Pferd und sind belohnt worden wie ein Pony“, kommentierte Regisseur und Routinier Elard Ostermann die vergeblichen Bemühungen seines Teams gegen Roda Kerkrade (1:2), St. Pauli (3:5) und IFK Norrköping (3:5). „Schön, mal im Konzert der Großen dabei zu sein“, ließ sich Präsident Jörn Heinemann allerdings die Freude über den Indoor-Vergleich mit europäischen Erstliga-Clubs nicht nehmen. Die Billstedter, eine Mischung aus Kickern mit langjähriger Erfahrung in höheren Ligen und gerade aus dem Jugendbereich entwachsenen Spielern – der 19-jährige Sven Barth wurde zum bes-ten Keeper des Astra-Cups gewählt – buffen gerne in der Halle. „Unsere jungen Leute werden hier taktisch gut geschult“, meint Coach Uli Schulz, „das kann man später auch mit nach draußen nehmen“. Auch wenn das manchmal an die Substanz geht. „Bei mir gehen die Adduktoren von links nach rechts rüber“, stöhnte Oliver Geier-Frederico nach drei Tagen Hallen-Marathon.

Der Hamburger SV setzt in solchen Fällen auf Prävention. Im Kampf um europäische Wettbewerbsfähigkeit stehen Meriten auf dem Parkett in keiner vernünftigen Relation zu möglichen Verletzungen von Leistungsträgern, so das Kalkül der Verantwortlichen. Trainer Frank Pagelsdorf schickte für die beiden Tage dann auch eine Mischung aus Erstliga-Reservespielern und Viertliga-Amateuren nach Alsterdorf. Etikettenschwindel? Wohl eher ein Befreiungsschlag aus der Defensive, in die der HSV nach dem vollständigen Fernbleiben im Vorjahr geraten war – woran ihn eine Boulevard-Zeitung auch regelmäßig erinnerte.

Zudem verkauften sich die ergänzten HSV-Amateure überraschend gut. Sie gewannen ihre Gruppe, unter anderem mit einem 2:1 gegen den späteren Sieger Viborg FF, scheiterten im Halbfinale allerdings in der Traumpaarung der Veranstalter mit 3:4 knapp am Titelverteidiger FC St. Pauli. Den Zuschauerzahlen tat die Teilnahme beider Hamburger Proficlubs sichtlich gut, doch jeweils auf ihre Weise demonstrierten beide Vereine auch, dass die Zukunft des Jahr für Jahr blasseren Hallenfußballs eher bei spielstarken Amateur-Mannschaften liegt. Einige St.-Pauli-Profis spielten so, als ob sie das Wort „Halle“ überhaupt nicht buchstabieren könnten. Doch mit etwas Glück und einem überragenden Ivan Klasnic – der unumstritten zum besten Spieler gewählt wurde – kamen die Kiezkicker bis ins Finale. Dort humpelte Klasnic nach zwei Minuten erstmal vom Parkett, spielte danach angeschlagen weiter und konnte eine 3:6-Niederlage gegen Viborg nicht verhindern.

Die Billstedter Kicker entspannten sich da nach ihrem wackeren Auftritt schon im VIP-Raum, um neue Kräfte fürs Wochenende zu tanken. In Quickborn am Tag danach meinten auch hart gesottene Anhänger, nun sei „erstmal wieder Apfelschorle“ angesagt. Am Sonntag teilte der Oberligist dann noch seinen Kader, um bei den Hallenturnieren in Geesthacht und Aumühle vorbei zu schauen – der fünfte Tag in Folge, an dem PVC unter den Füßen klebte.

Damit nicht alle Kicker dem permanenten Frischluftentzug ausgesetzt waren, fuhren zwölf Billstedter derweil nach Schneverdingen, um dort zu einem Testspiel gegen den Zweitligisten Greuther Fürth anzutreten. Vorher, so gehen die Gerüchte, hat Trainer Uli Schulz seine Schützlinge behutsam vorbereitet: Das Grüne, was sie dort sehen würden, sei Rasen, und darauf könne man, ja tatsächlich!, auch Fußball spielen. Folke Havekost