vorlauf
: Engagierte Unbekannte

Keine verlorene Zeit (Mo., 23.15 Uhr, West 3)

„Zwischen September 1979 und April 1980 nimmt die Leipziger Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit, Abteilung XX/3, vier Personen vorläufig fest. Die Verhaftungen finden zum Teil auf offener Straße statt. Der Vorwurf lautet: staatsfeindliche Hetze und Verbreitung verbotener Schriften.“

Die Doku erzählt die Geschichte dieser vier Menschen, ihrer Freunde, eines Umfelds in einer auch nach all den Sondersendungen zehn Jahre danach noch immer sehr unbekannten DDR: Noch sind Glasnost und Gorbatschow, selbst Solidarność in Polen nicht in Sicht, da finden sich in Leipzig eine Hand voll engagierter Menschen zwischen 20 und 30, die sich Gedanken machen, was in ihrem Land vor sich geht. Die selbst entscheiden wollen, welche Büche sie lesen. Und denen ein kritisches Auf-sich-selbst-Zurückziehen nicht reicht, die Veränderung wollen und für möglich halten.

Und die Staatssicherheit ist fast von Anfang an dabei: Geschickt montiert der Film von Dörte Franke, Christopher Bauder und Marc Bauder die Ermittlungsakten in die Handlung, unterstreicht das in seiner Plattheit manchmal Unvorstellbare noch durch Ausschnitte aus MfS-Schulungsfilmen. Neben wenige Originalaufnahmen aus der Zeit treten in schwarzweiß gedrehte Fahrten durch das heutige Leipzig. Der Kunstgriff funktioniert, Bekemmung stellt sich ein.

Beklemmung vor allem darüber, was die heute überwiegend in Köln lebenden Leipziger detailgenau berichten: Das zunehmende Bewusstsein über die eigene Gefährdung, die Verhaftung, die Untersuchungshaft in Leipzig, die Prozesse und die anschließende Reise im Gefängniszug in die Knäste von Hoheneck (Frauen) und Cottbus (Männer). Freunde und Familie, kleine Kinder inklusive, bleiben zurück. Nach und nach werden alle Inhaftierten von der BRD freigekauft.

Für sie, sagt Uta Franke, seien selbst die fast zwei Jahre in Hoheneck keine verlorene Zeit gewesen. Ihre Tochter Dörte, damals sechs Jahre alt, durfte erst nach Interventionen Herbert Wehners bei der DDR-Führung zur Mutter nach Westdeutschland ausreisen. Zusammen mit zwei Freunden hat sie seit 1998 diesen Film vorbereitet und gedreht, Engagement zwischen 20 und 30. STEFFEN GRIMBERG