Eros an Bord

Die Natur ist als Schöpferin unergründlich und vielfältig, die Kunst ist ihre gelehrigste Schülerin: Die Galerie Michael Schultz zeigt neue Arbeiten von Cornelia Schleime

Am Anfang des letzten Jahres kaufte sich die Malerin Cornelia Schleime ein Boot. Sie fuhr damit die Flüsse und Seen in der Umgebung ab. Unterwegs war sie gleichsam eine Kunstfischerin, denn auf dem Wasser fand sie die Ideen für ihre neuen Bilder. Die Ergebnisse werden zur Zeit in der Galerie Michael Schultz ausgestellt: Gemälde, Zeichnungen, Installationen. Keine Ansichten und Geschichten, keine Reportagen und Recherchen vor Ort. Nur Fantasiebilder. Die Ausflüge waren Auslöser für Szenen, die nicht aus den Tiefen des befahrenen Gewässers, sondern aus kollektiven und persönlichen Erinnerungen stammen.

Einen Raum hat Schleime mit dem Muster einer italienischen Plastiktischdecke tapeziert – eine sich endlos wiederholende Anglerszene in pittoresker Flusslandschaft. Im Zentrum des Raumes erhebt sich aus einer Sanddüne, mächtig und komisch zugleich, bis zur Decke die „Watthose für große Kerle“. An der Wand hängt das „Schifferklavier für lange Arme“. Sein überlanger, sägeblattähnlicher Balg wirkt wie ein Sinnbild für Fernweh zwischen Verzauberung und den Leiden der Melancholie. Auf Stangen erscheinen dazu trophäenartig präparierte Fische: Aal, Barsch, Hecht. Sie haben im Einzelfedersteckverfahren (ja, so heißt das tatsächlich) ein neues, buntes Kleid erhalten. Hinweise auf stammesgeschichtliche Zusammenhänge vermischen sich mit märchenhaften Metamorphosen.

In der Serie „Anglerlatein“, die aus Zeichnungen besteht und auf verschiedene Sorten von Papier getuscht wurden, setzt Schleime ihr Spiel mit Realität und Fiktion fort. In textumrandeten ovalen Bildspiegeln erscheinen bizarre Fische wie „Fauchzahnfiesling“, „Eierkuchenpflaumer“, „Basedowscher Blaupuckel“ oder „Feuerrückentaumler“. Die Natur ist als Schöpferin vielfältig und unergründlich; und die Kunst befindet sich auf dem besten Wege, wenn sie ihren Spuren als gelehrige Schülerin folgt.

Schleimes Installationen spielen auf ironische wie wundersame Art mit den Bedeutungsebenen, die zu Wasser, Schiff, Fisch und Anglerei passen: Es geht um psychologische, erotische, folkloristische und morphologische Felder. Hinzu kommen mehrere großformatige Gemälde, die zwischen Biografie und Nostalgie angesiedelt sind – alles sehr kühl, furchtlos, subversiv. Es sind Bilder anonymisierter Menschen, die man aus vergilbten Fotoalben und Filmbroschüren zu kennen glaubt. Tatsächlich sind es aber Phantomgestalten „einer inneren Sehnsucht nach etwas“, so Schleime im Interview, „von dem ich selbst nicht weiß, wie es aussieht“. Kalte Farben, harsche Kontraste bis hin zu Asphaltlack mit seinen fleckigen, brandigen Partien – all das schafft eine Atmosphäre, in der sich Nähe und Ferne, Erinnerung und Projektion, Lebenslust und Todesgewissheit nicht ausschließen.

MICHAEL NUNGESSER

Bis 13. 1. 2001, Di bis Sa, 11 bis 18 Uhr, Galerie Michael Schultz, Mommsenstraße 34, Charlottenburg