Ein erstklassiger Zweitligist

Der FC Fulham spielt nach Ansicht vieler Experten diese Saison in England den schönsten Fußball – am Sonntag trotz 1:2-Niederlage im FA-Cup sogar besser als Meister Manchester United

aus London RONALD RENG

Trainer Jean Tigana bat seine Fußballer zum Test, aber den Check führte nicht er durch, sondern ein Zahnarzt. Alle 32 Profis des englischen Zweitligisten FC Fulham mussten im vergangenen Juli, kaum dass Tigana seine Arbeit begonnen hatte, auf den Behandlungsstuhl; eine Routinekontrolle, die der Franzose Tigana (45) für nötig hielt, weil er weiß, dass Zahnentzündungen in den ganzen Körper ausstrahlen und zu Rückenschmerzen oder Muskelverletzungen führen können.

Wie weit Tigana das Team mit solcher Gründlichkeit gebracht hat, war am vergangenen Sonntag zu erkennen, als der englische Meister Manchester United Fulham auf den Zahn fühlte. Ein Tor von Teddy Sheringham in vorletzter Minute sicherte United den 2:1-Sieg in der dritten Runde des FA-Cups, aber das Resultat konnte nicht den Eindruck der vorangegangenen 89 Spielminuten verwischen: „Für meine Verteidiger war es das härteste Spiel der Saison“, sagte Manchesters Trainer Alex Ferguson. United, eines der besten fünf Teams Europas, dominiert von einem Zweitligisten?

Irgendetwas ist da auf wunderbare Weise zu schnell gegangen beim Versuch des Milliardärs Mohammed al-Fayed, den gestrandeten Westlondoner Traditionsverein wieder aufzupeppen: Der FC Fulham, den der 67-jährige Besitzer des Londoner Harrods-Kaufhauses im Mai 1997 als Viertligisten kaufte, ist zu früh zu gut geworden. Noch Zweite Liga, aber schon erstklassig. „Den genussvollsten Fußball im Land“ spiele der FC, bescheinigt der Sunday Telegraph. Als würde die SPD Bundeskanzler Gerhard Schröder für einen Kreistagswahlkampf aufbieten, schickt al-Fayed eine etwas überqualifizierte Mannschaft in die Niederungen des englischen Profifußballs, mit besseren Erstligaspielern wie dem zehn Millionen Mark teuren Lee Clark und angeführt von Tigana, der bis dahin nicht im Verdacht stand, sich für Zweitklassigkeit zu begeistern: Als Spieler war er 1984 Michel Platinis eleganter Nebenmann in der französischen Europameisterelf, als Trainer führte er den AS Monaco 1998 ins Champions-League-Halbfinale.

Herausgekommen ist ein Kurzpassfußball, so schön und gut wie deplatziert in Spielklasse zwei. Fulham startete mit elf Siegen in Folgen, inzwischen hat man in 25 Partien 60 Tore geschossen, und der Aufstieg gilt nach gerade der Hälfte der Spielzeit als Selbstverständlichkeit. Ist irgendetwas Negatives zu sehen? „Na ja, um die Meisterschaft würden wir noch nicht mitspielen, wären wir Erste Liga“, sagt Karlheinz Riedle, Fulhams deutscher Weltmeister von 1990, der wegen Rückenschmerzen diese Saison noch nicht spielen konnte.

Wie so oft bei Heimspielen ging al-Fayed auch am Sonntag vor Anpfiff flankiert von seinen Leibwächtern einmal um den Rasen und nahm die Huldigungen der Fans entgegen. Vor allem für solche Anerkennung investierte er bis dato rund 150 Millionen Mark in den Klub; die britische upper class hat sie dem Einwanderer aus Ägypten nach seiner Meinung immer verweigert. „All diese verdammten Politiker, zum Beispiel John Major, der Sohn eines Clowns, wurde Premierminister und dachte, er sei Henry VIII.“, schnaubt al-Fayed. Wer er glaubt zu sein lässt er offen, doch er kann mittlerweile selber scherzen über seinen Geltungsdrang: „Mit 14 spielte auch ich Fußball. Meine Position? Mannschaftskapitän.“

Es wäre leicht, Fulhams Aufstieg zum erstklassigen Zweitligisten mit al-Fayeds Investitionen zu erklären: Um die laufenden Kosten von 75 Millionen Mark pro Jahr zu tragen, schießt er 30 Millionen zu. Tigana allein wird für Spiele gegen grauenhafte Teams wie Crewe oder Huddersfield mit angeblich drei Millionen Mark pro anno entschädigt. Geld alleine aber kauft keinen Erfolg. Tigana macht ein exzellentes, modernes, intensives Training, zudem hat er ein Auge für junge, billige Talente wie den 20-jährigen Sean Davis bewiesen. Angesichts der Treffsicherheit des französischen Stürmers Louis Saha, der mit 21 Toren bislang überragte, lässt sich sogar schwer etwas gegen dessen 6,5 Millionen Mark teuren Transfer aus Metz sagen. Für den Wechsel könnte Tigana noch andere Gründe gehabt haben: Wie branchenüblich wird Sahas Agent mindestens eine halbe Million Provision kassiert haben – und Sahas Agent war damals, im Juni 2000, Jean Tigana.

Zu hören war von Tigana zu alldem in diesen Tagen nichts. Zu einer groß angelegten Pressekonferenz seines Vereins vor dem Cup-Spiel kam er nicht, Stürmer Barry Hayles tröstete die Reporter: „Macht euch nichts daraus, mit uns redet er auch nicht.“ Es war nur halb ein Scherz. Große Worte gebraucht Tigana selten. Am Sonntag sagte er alles mit einer kleinen Geste. So ein Schock war Sheringhams spätes Tor, da nahm sogar Jean Tigana, der Mann, der den Zahnarzttest im Fußball einführte, den Zahnstocher aus dem Mund, auf dem er während des Spiels herumgekaut hatte.