Dem Teufelskreis entronnen

Wie Gao Xingjian der Dichotomie von Ost und West entkommen ist, zeigt eine in Großbritannien erschienene Studie

Gao Xingjian, der Träger des Literaturnobelpreises 2000, war der bekannteste Autor des chinesischen Experimentaltheaters der 80er-Jahre. Doch seine größte Leistung besteht darin, eine neue Theaterform geschaffen zu haben, „die es noch nie zuvor in der Weltgeschichte des Dramas gegeben hat“. Während vom Zen-Buddhismus inspirierte Poesie und Malerei eine lange Tradition in China hätten, sei das von Gao ab dem Ende der 80er-Jahre kreierte und in den 90er-Jahren voll entwickelte Zen-Theater etwas Einzigartiges, schreibt der an der Universität London lehrende Henry Zhao Yiheng. Seine in englischer Sprache verfasste Untersuchung mit dem Titel „Towards a Modern Zen Theatre“ ist die bislang einzige Monografie über Gao Xingjian und nur wenige Monate vor dessen Ehrung mit dem Nobelpreis erschienen.

In dem Buch zeichnet Zhao in einer auch für den interessierten Laien verständlichen Sprache die Entwicklung Gaos von dessen ersten erhaltenen Stücken an nach. (Seine frühesten Texte musste der Autor ja während der Kulturrevolution vernichten.) 14 Theaterstücke, Romane und andere Werke hat Gao seit 1982 geschrieben, mehr als die Hälfte davon bereits im Exil in Frankreich, in das er 1987 ging.

Zhao widmet jedem Text einige Seiten. Vor allem aber ist ihm daran gelegen aufzuzeigen, wie der Autor „dem Teufelskreis“ der Ost-West-Dichotomie, in dem chinesische wie westliche Kritiker zu sehr gefangen seien, entkommen ist und sein Theater, sowohl was dessen Ästhetik als auch dessen kulturpolitisches Verständnis betrifft, in einem ganz eigenen Raum angesiedelt hat.

Auch Gaos Zen, schreibt Zhao, „ist weit weniger devot als der kulturelle Eifer ‚der Zenpoeten‘ des Westens“. Es ist ein Zen, der sich selbst hinterfragt und ironisch betrachten kann, ein Zen, den Gao für unsere Zeit „erfinden“ musste. Damit hat er sich auch am weitesten über die dem stanislawskischen Realismus verpflichtete Literatur hinaus entwickelt, ein Realismus, der, wie Zhao es formuliert, „von den sowjetischen und chinesischen Ideologen zu einem erdrückend monopolitischen System gemacht wurde und jede künstlerische Vielfalt zu ersticken versuchte“.

Als Zhao an seiner Monografie arbeitete, konnte er noch nicht ahnen, dass Gao mit den Nobelpreis ausgezeichnet würde. Die Begründung, warum Gao ihn verdient, meint Zhao nun, sei in seinem Buch nachzulesen. Dieses informiert in mehreren Anhängen auch detailliert über alle verfügbaren Übersetzungen der Werke Gaos sowie die Sekundärliteratur in diversen Sprachen.

BRIGITTE VOYKOWITSCH

Henry Y. H. Zhao: „Towards A Modern Zen Theatre – Gao Xingjian and Chinese Theatre Experimentalism“. University of London, London 2000, 230 Seiten, 27,50 Pfund