Ich bin Brian, meine Frau ist auch Brian

■ In dem Projekt „lessness – arbeit macht freiheit“ schlagen das Haus im Park und das Junge Theater einen Bogen zwischen Arbeitsgesellschaft und Multiplen Persönlichkeiten

„The most important thing is work!“ Diese schlichte Feststellung von Lou Reed gilt noch immer, obwohl sich die Arbeitsgesellschaft anerkanntermaßen in einer mächtigen Krise befindet und allmählich die Einsicht durchsickert, dass Vollbeschäftigung für alle weder erstrebenswert noch durchsetzbar ist. Stärker denn je entscheidet das Haben oder Nicht-Haben von Arbeit darüber, ob ein Mensch sich als solcher fühlen kann oder als gescheiterte Existenz.

Aber, aber! Heutzutage lassen sich doch auch nicht-lineare Lebensverläufe als (Führungs)Persönlichkeitsverstärker verkaufen. Die MitarbeiterInnen des Jungen Theaters praktizieren seit langem den Alltag des flexiblen Menschen, mittlerweile auch ohne die kreativitätsfeindlichen Wonnen eines fes-ten Spielortes.

Das Credo „Weniger ist mehr“ lässt sich auch grob mit der schönen englischen Wortschöpfung „lessness“ (Losigkeit) übersetzen. Die stammt nicht etwa von Tony Blair, sondern von Samuel Beckett und meint den „Moment strukturloser Beziehung“. Unter diesem Titel veranstaltet das Junge Theater jetzt zusammen mit dem Kreativbüro des Zentralkrankenhauses Ost, dem Haus im Park, den zweiten Teil ihres „interdisziplinären Kulturprojektes“.

Im Gegensatz zum ersten Teil sei die vortragslastige Reihe „pointierter“, sagt Stephan Uhlig vom Haus im Park, was etwas verschleiert darauf hindeutet, dass die durchaus interessanten Themen in sehr losem Zusammenhang zueinander stehen. Einen nachvollziehbaren Strang bildet das Hinterfragen des Zwanges, die eigene Identität über Arbeit zu legitimieren. Zum Beispiel stellt der Volkskundler Wolfgang Brückner seine Forschungsergebnisse über die historischen Wurzeln der Buchenwald-Inschrift „Arbeit macht frei“ vor. Um den Zwangscharakter von Arbeit geht es auch in einem anderen, mit Theaterelementen versüßten Vortrag. „Arbeit – muss das sein?“, fragt Gunther Kruse. Der Hannoveraner Mediziner war von 1983 bis 1987 Chefarzt der Psychiatrie III in Sebaldsbrück und widmet sich der Funktion von Psychiatrie und Psychotherapie in der Reparatur des arbeitsuntüchtigen Menschen.

Ein weiterer Schwerpunkt des Projektes liegt dementsprechend auf der Störung oder auch Fähigkeit der Multiplen Persönlichkeit (MPS). „MPS taucht vor allem in Krisenzeiten der Arbeitsgesellschaft auf“, sagt Stephan Uhlig. MPS-Patienten, die aufgrund von traumatischen Erfahrungen Persönlichkeitsanteile „abgespalten“ haben, um weiterleben zu können, machten laut Uhlig extreme Erfahrungen von „lessness“.

Uhlig erklärt den Zusammenhang zwischen den Themen MPS und Arbeitsgesellschaft derart, dass MPS-Patienten viele unserer Vorstellungen einer sozialen Ordnung verunsichern, wenn ungeklärt ist, welche der zahlreichen Persönlichkeiten eines einzelnen Menschen zum Beispiel Eigentum erworben oder einen Arbeitsvertrag unterschrieben hat. ei

Auftakt der interdisziplinären Veranstaltungsreihe ist am 11. Januar um 20 Uhr im Haus im Park (auf dem Gelände des Zentralkrankenhaus Ost, Züricher Straße 40) mit einem Theaterstück über MPS. Weitere Lessness-Termine im Januar: 12. (Wdh. des Stückes), 18. (Traum, Tabus, Sprache), 26. (Arbeit macht frei). Informationen: 408 1757