schnittplatz
: Am Pool mit Madonna

Ist es Wahrheit, Fälschung, Dichtung oder nur unkonventionelle Technik? Um diese Begriffe jedenfalls drehte sich im vergangenen Mai die Diskussion über das Berufsverständnis eines gewissen Tom Kummer. Die Konsequenzen daraus waren schnell klar: Das Magazin der Süddeutschen Zeitung und die gleichnamige Beilage des Züricher Tages-Anzeigers beendeten ihre Zusammenarbeit mit ihrem Mann in L. A., der es scheinbar wie kein Zweiter verstanden hatte, die Stars und Sternchen des Filmbusiness zu interviewen. Bzw. eine rege Phantasie besaß: Manche der Gespräche haben gar nie stattgefunden. Die Medienhäme war groß, die Haue, die der Phantast bezog, ebenfalls.

Nach einer gebührenden Gras-drüber-wachsen-lassen-Periode meldet sich der viel diskutierte Schreiber nun zurück, und zwar im Internet. Das multimedial ambitiöse Portal der Schweizer Post (yellowworld.ch) hat Kummer angeheuert und lässt ihn unter dem Rubrikentitel „L. A. Confidential“ von seinem Leben an der amerikanischen Westküste plaudern. Seit Ende November wird dem Leser in einer klar als fiktional erkennbaren Form das präsentiert, was die Redaktionen früher als Fakten gekauft hatten. Und es ist sofort ersichtlich: Der Glatzkopf mit den kantigen Gesichtszügen ist wieder voll in seinem Element. Wie er früher Interviews mit den Leinwandstars fabriziert hat, so begegnet er ihnen nun an den exklusivsten Örtlichkeiten. Zum Beispiel im Luxushotel Two Bunch Palms in Desert Hot Springs. Zwischen Madonna, die mit ihren Kindern spielt, und George Clooney ist niemand Geringeres als Tom Kummer am Poolrand anzutreffen. Es darf aber auch mal eine kleine E-Mail-Umfrage bei Größen wie Snoop Doggy Dog oder Michael Crichton sein.

Die Gratwanderung zwischen Realität und Fiktion ist in Kummers Internet-Kolumnen ein zentraler Topos. Einschübe wie „Alles ist echt“ oder „Alles Menschliche wirkt künstlich (und darum so echt)“ in den zwei jüngsten Erzeugnissen lassen das Kokettieren des Autors mit der Authentizität seiner Texte erkennen. Nicht zuletzt deshalb ist das World Wide Web, wo der Schein das Sein schon längst verdrängt hat, der geeignete Ort, um der nicht allseits anerkannten Disziplin des Borderline-Journalismus zu frönen.

NICK LÜTHI