Martin Schmitts Antipode

Frech, launig, kratzbürstig, ironisch: Der Thüringer Ronny Ackermann belebt die Nordische Kombination mit Topresultaten und seinem Sinn für die „Vermarktungsaspekte“ des Zweikampfs

von CLAUDIO CATUOGNO

Wenn Ronny Ackermann damals mit dem Verstand entschieden hätte, dann wäre er wohl Skispringer geworden. Wenn er ans Geld gedacht hätte, dann auch. Und wenn er geahnt hätte, dass man als Skispringer heute von den Schranktüren 14-jähriger Mädchen blinzelt – wer weiß. Aber als Kind, sagt Ackermann, habe ihm beim Training auf der Schanze immer die Bewegung gefehlt. „Und als Kind entscheidet man mit dem Herzen.“ Also wurde Ronny Ackermann Nordischer Kombinierer.

Und als solcher wird es vorerst nichts werden mit einem eigenen Bravo-Starschnitt oder Waschkörben voller Liebesbriefe von deutschen Teenagern. Aber nach seinem spektakulären Sieg beim Weltcup in Reit im Winkl ist Ackermann immerhin Hoffnungsträger einer ganzen Disziplin. Nicht nur, weil er in der Weltcupwertung auf Rang drei liegt und in dieser Saison immer unter die ersten fünf kam. Sondern auch, weil die Öffentlichkeit Typen fordert und sich da wohl keiner besser eignet als der 23-Jährige vom WSV Oberhof.

Mal angenommen, er wäre doch Skispringer geworden, dann könnten heute alle schreiben, wie sehr sich der Sportsoldat aus Thüringen doch vom inoffiziellen Bundesadler Martin Schmitt unterscheide. Hier Schmitt, der Sonnyboy aus der fliegenden Schwarzwald-Boygroup, erfolgreich und deshalb wahnsinnig süüüüüüß! Und dort Ackermann: gar nicht süß, eher cool. Messingrot gefärbte Haare und einen goldenen Ring im linken Ohrläppchen. Frech, launig, kratzbürstig, ironisch. Und vor allem: wortgewandt. Am Wochenende parlierte der Sieger Ackermann locker auf allen Kanälen. Wenn einer die Kombination wieder populär machen kann, hoffen viele beim Deutschen Skiverband, dann er.

Martin Schmitt hat zuletzt erzählt, dass er irgendwo im Wald beim Joggen von „zwei Omas“ abgepasst wurde und Autogramme schreiben musste. Ackermann sagt, er sei „eigentlich froh, dass ihn auf der Straße niemand erkennt“. Trotzdem, die neue Rolle („Vielleicht bald ein Star?“) spielt er gerne. Nicht nur im eigenen Interesse. Sondern weil ihm generell im Sport „der Vermarktungsaspekt wichtig ist“. Ackermann will mit der Kombination Zuschauer begeistern, Sponsoren anlocken, Geld verdienen. Deshalb verteidigt er auch die jüngsten Regeländerungen am lautesten gegen Kritik.

Dank neuer Wettkampfmodi sollen nämlich die Veranstaltungen des nordischen Mehrkampfs für Medien und Publikum attraktiver werden. So begann der Weltcup in Reit in Winkl mit einem Massenstart, nur die schnellsten 30 Läufer durften danach noch auf die Schanze. Seinen Sieg holte Ackermann aber in der sogenannten Sprintwertung – ein Sprung, 7,5 Kilometer Langlauf. Dann folgten in Reit die klassischen 15 Kilometer. Die Athleten sprangen zweimal, aber diesmal qualifizierten sich nur die 30 besten Springer überhaupt für Loipe.

Kritisiert wird dieser Modus, weil sich Athleten, die überragend laufen, aber nur mäßig springen (oder umgekehrt), manchmal nicht für die jeweils andere Disziplin qualifizieren. „Aber ohne diese Beschränkungen“, sagt Ackermann, „kommt der Letzte oft mit 15 Minuten Rückstand ins Ziel.“ Und wen interessiert schon der Letzte?

In Reit interessierten sich alle für den Ersten des Sprintwettbewerbs – für Ackermann. Einst hatte ihm Bundestrainer Hermann Weinbuch noch „mangelnde Cleverness“ unterstellt. Vor einem Jahr errang er dann im finnischen Vuokatti seinen ersten Weltcupsieg, und seither läuft und springt er konstant wie nie. Im Gesamtweltcup liegt Ackermann nur noch 17 Punkte hinter dem Norweger Bjarte Engen Vik, 35 hinter dem führenden Österreicher Felix Gottwald. Dafür 230 vor dem viertplatzierten Samppa Lajunen aus Finnland. In fünf Wochen beginnt die WM im finnischen Lahti, und Ackermann sagt, es sei „nicht mehr abzustreiten, dass ich zum Favoritenkreis gehöre“.

Medaillen sind in der klassischen Kombination, im Sprint und in der Mannschaftswertung zu verteilen. Nur im Massenstart nicht, der wird in Finnland nicht ausgetragen. „Das ist schade“, sagt Ackermann, „denn das wäre für die Medien eine attraktive Veranstaltung.“ Und außerdem hätte die umgekehrte Reihenfolge der Disziplinen noch einen weiteren Vorteil: Auf die dünnen Langlaufbrettchen passt fast kein Werbeschriftzug. „Wenn aber die Entscheidung im Springen fällt“, sagt Ackermann, „dann kann man die großen Skier in die Kameras halten.“