Kein bisschen verklärt

■ Anke Krahe singt Hildegard Knef: Ganz und gar nicht langweilige Facetten einer Diseuse im Goldbekhaus

Die Knef wurde gerade, wer hätte es gedacht, 75 Jahre alt! Ja lebt die denn überhaupt noch? Und wenn ja, warum gibt s dann schon jetzt einen nachrufartigen Abend mit Liedern und Texten von ihr und über sie? Sowas gibt's doch im allgemeinen in dieser unserer Welt erst postmortal. Oder sollte die Diva Besseres verzapft haben, als etwas, das erst in verklärter Erinnerung ertragbar wird?

Ich möchte! Ich brauche! Ich will! nennt Anke Krahe ihr Programm und schöpft aus Hildegards Musiktruhe und aus ihren Memoiren. Und siehe da: Rasch kam beim Liederabend im Goldbekhaus die Überraschung. Die Diseuse hatte, so merkte man schnell, ja tatsächlich was zu sagen. Keine seichten Textchen von Herz-Schmerz-Morgenrot – auch wenn die Melodien, die Alec Sloutski am Klavier zu Gehör bringt, dem heutigen Ohr manchmal fast zu gefällig wirken. Chansons eben über Ängste und Träume, das Leben und scharfsichtige Notizen zur eigenen Geschichte und die Außenwirkung.

Anke Krahe sucht in ihrer Liedauswahl die Knef aus einer Fülle von Aspekten herauszuschälen. Erst in ein strenges Kostüm gewandet, später in einer fantastischen Robe markiert sie Stationen des äußerst abwechslungsreichen Lebens der Diva, die wie sonst wohl nur Marlene Dietrich internationale Anerkennung gewann. Anke Krahe, die mehr singt als die Knef (Ella Fitzgerald soll über sie gesagt haben: „Sie ist die größte Sängerin ohne Stimme.“) und kein Imitat im Sprechgesang sucht, fesselt als selbstständige Sängerin. Regisseur Reiner Müller schickt sie auf eine illustrative Reise über die Bühne zwischen Barhocker, Rampe, Tisch und Wäscheleine, an der sie Bogen für Bogen Papier aufhängt. Das Leben eine Sammlung von Blättern, auf denen andere nachlesen können, wie's war. Kleine Unsicherheiten im Ablauf sieht man der Akteurin gerne nach, sie ist souverän genug, sie charmant zu meistern. Schwerer wiegt in Textpassagen ihr Ruhrpott-Akzent, da ist dann zu viel Krahe vor der Knef. Doch das verblasst schnell wieder in den Chansons, denen man gerne länger zuhören würde, nicht nur Ohrwürmern wie „Für mich soll s rote Rosen regnen!“ Oliver Törner

weitere Vorstellungen: heute und morgen, 20 Uhr, Goldbekhaus, Moorfuhrtweg 9