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: Ronaldo war fit, Brasiliens Fußball ist es nicht

Mehr Böcke als Gärtner

Brasiliens Fußball ist in einem jammervollen Zustand. Seit Monaten bemühen sich zwei Untersuchungskommissionen des Parlaments, Licht in mannigfaltige Manipulationen unter der Ägide des nationalen Verbandes CBF zu bringen, und außerdem aufzuklären, inwieweit der 400-Millionen-Dollar-Vertrag mit dem Sportartikelhersteller Nike einen Ausverkauf darstellt. Sie kommen jedoch nur schleppend voran. Immerhin ist seit Mittwoch eine Sache klargestellt: Superstürmer Ronaldo war fit beim verlorenen WM-Finale 1998 gegen Frankreich. Sagt er jedenfalls selber.

Am Nachmittag vor dem Match war Ronaldo in seinem Zimmer von solch heftigen Krämpfen befallen worden, dass Mitbewohner Roberto Carlos überzeugt war, er läge im Sterben. Er selbst habe überhaupt nichts mitbekommen, berichtete Ronaldo jetzt dem Ausschuss, sondern sei aufgewacht und zu seinem Erstaunen von entsetzt blickenden Mannschaftskollegen und Ärzten umringt gewesen. In einem Pariser Krankenhaus wurde er untersucht, aber bald wieder entlassen, weil nichts festgestellt werden konnte. Totenbleich fand er sich kurz vor Finalbeginn beim Team ein und verkündete, er werde spielen. Dies sei allein seine Entscheidung gewesen, Sponsor Nike habe damit nichts zu tun gehabt.

Stürmer Edmundo dagegen, der schon als Ersatz auf dem Spielbogen stand, hatte des öfteren behauptet, der Vertrag mit Nike habe eine Klausel enthalten, nach der Ronaldo jedes WM-Spiel über volle 90 Minuten bestreiten müsse. Das sei gelogen, erklärte der Betroffene und fügte hinzu: „Ich denke, meine Glaubwürdigkeit ist wohl etwas größer als die von Edmundo.“ Letzterer ist bekannt für sein erratisches Benehmen und hatte mit seiner Aussage im letzten November auch den Ausschuss verärgert, weil er sich seltsam zahm äußerte. Die ungewohnte Schweigsamkeit des Spielers führten die Inquisitoren darauf zurück, dass er eine Woche zuvor ins Nationalteam berufen wurde – erst zum zweiten Mal nach der WM. Immerhin sorgte „Das Tier“ für so viel Aufsehen im Parlamentsgebäude, dass der Direktor der Zentralbank ein Hearing absagen musste, weil niemand erschien. Alle Abgeordneten waren bei Edmundo.

Als besonderer Bremsklotz bei den Untersuchungen erwies sich ein Ausschussmitglied, das zuletzt auch anderweitig im Blickpunkt stand: Eurico Miranda, Präsident des Fußballklubs Vasco da Gama aus Rio de Janeiro. Der Kongressabgeordnete war nicht mal durch die Enthüllung, er habe vom Fußballverband CBF Geld für seine Wahlkampagne erhalten, aus dem Nike-Ausschuss zu entfernen, und gilt als Hauptverantwortlicher für die Katastrophe beim letzten Meisterschaftsfinale um die Copa João Havelange. Seine Entscheidung, das Rückspiel gegen das Team von São Caetano nicht im riesigen Maracaná-Stadion, sondern in Vascos maroden São Januario auszutragen, führte am 30. Dezember nach einem Zaunbruch zu einer Panik mit 160 Verletzten und auf Anordnung des Gouverneurs von Rio zum Abbruch der Partie in der 23. Minute. Miranda bezeichnete den Gouverneur daraufhin als „inkompetenten Idioten“, was dieser mit einer Klage konterte. Der „Club der 13“, trotz des Namens ein Zusammenschluss der 20 größten Vereine Brasiliens und Organisator der Copa Havelange, setzte das Match inzwischen für den 18. Januar neu an – diesmal im Maracaná.

Damit ist die Sache aber nicht ausgestanden. Nach den jüngsten Vorkommnissen will die CBF mit Ricardo Texeira, dem übel beleumundeten Schwiegersohn von Ex-Fifa-Präsident Havelange an der Spitze, die Meisterschaft wieder an sich reißen und den Klub der 13 damit entmachten. Ein Schritt, der die endgültige Spaltung und die Gründung einer Alternativliga durch die großen Vereine nach sich ziehen dürfte.

In dieser verfahrenen Situation meldete sich am Mittwoch auch Exsportminister Pelé mal wieder zu Wort. Nach der Besichtigung diverser Stadien rügte er den jämmerlichen Zustand der brasilianischen Arenen und erklärte, für Vorfälle wie den beim Finale um den Havelange-Cup sei „der Mangel an Seriosität und Verantwortungsbewusstsein bei den obersten Fußballfunktionären des Landes“ verantwortlich. Eine wahrlich treffende Analyse. Wie es scheint, werden zwei Parlamentskommissionen kaum ausreichen, um wieder bessere Zeiten in Brasiliens Fußball anbrechen zu lassen. Schon gar nicht, wenn weiterhin Bock und Gärtner darin vereint sind.

MATTI LIESKE