POSTENWECHSEL VON KÜNAST OFFENBART NEUES POLITIKVERSTÄNDNIS
: Nur solange es der Karriere dient

Renate Künast ist zu beglückwünschen! Schon lange galt sie als ministrabel, auch als mögliche EU-Kommissarin ist sie zeitweise im Gespräch gewesen – und dann ging sie doch immer wieder leer aus, als die attraktivsten Posten verteilt wurden. Nun hat sie es also endlich geschafft, nach nur einem halben Jahr des Frondienstes als Parteivorsitzende. Toll! Wer wollte sich da nicht mit freuen für die sympathische grüne Politikerin? Vielleicht einige derjenigen, die sie gewählt haben.

Denen hat Renate Künast damals nicht etwa versprochen, so lange im Amt zu bleiben, bis ein besseres Angebot kommt, sondern sie kandidierte für eine ganze Legislaturperiode. Diese Kandidatur hat sie nicht damit begründet, dass sie gerne Karriere machen wollte und den Posten für ein gutes Sprungbrett hielt. Nein, sie sprach sehr überzeugend von der Notwendigkeit, die Arbeit des Vorstandes zu professionalisieren und der Partei gegenüber der Fraktion wieder mehr Gewicht zu verschaffen. Die Bedeutung der Arbeit am Grundsatzprogramm hob sie besonders hervor, und sie betonte auch, wie sehr sie sich auf ihre neue Aufgabe freute. Aber das ist ja nun schon etwas mehr als sechs Monate her.

Wer vom Leben und der Politik etwas versteht, muss den Vorgang für völlig normal halten. Jeder ist sich eben selbst der Nächste. Hat nicht gerade auch erst Michael Naumann in wohlgesetzten Worten begründet, warum es ihn in der Mitte der Legislaturperiode zu den neuen Ufern der Zeit zieht? Na also. Dabei ist für diesen Mann sogar extra ein Gesetz geändert worden, damit seine Sehnsucht nach einem Ministertitel erfüllt werden konnte. Was ihm recht war, muss der scheidenden grünen Parteivorsitzenden doch wohl billig sein dürfen. Gewiss. In der Logik dieses Denkens könnte allerdings nicht einmal dem Bundeskanzler verübelt werden, wenn er sein Amt aufgäbe, um Vorstandsvorsitzender eines Konzerns zu werden. Es wäre ja immerhin möglich, dass er diese Chance kein zweites Mal erhielte.

Regierungs-und Parteikreise werden den Medien jetzt viele vertrauliche Hinweise für eine Argumentation liefern, der zufolge Renate Künast gar keine andere Wahl geblieben ist, als die schwere Bürde ihres neuen Amtes auf sich zu nehmen. Die Öffentlichkeit sollte sich den Blick davon nicht vernebeln lassen. Die Zukunft Deutschlands hängt wirklich nicht davon ab, ob sich künftig diese oder eine andere Politikerin um Milchquoten und – ja, schon recht! – den Verbraucherschutz zu kümmern hat.

Die Koalition, die bereits ganz andere Zerreißproben überstanden hat, stand nicht auf dem Spiel, und nicht einmal die Führungsspitze der Grünen behauptet, dass die Personalentscheidung im spezifischen Interesse der Partei liegt. Die Berufung von Renate Künast ist für ihre Kabinettskollegen ganz einfach nur praktisch und angenehm. An erster Stelle für Außenminister Joschka Fischer. Der bekam ganz unverhofft eine Chance zu beweisen, was ohnehin wenig überraschend ist: dass er in den eigenen Reihen die Karriere all derer verhindern kann, die im Kosovokrieg nicht auf seiner Seite standen. Renate Künast hat ihn unterstützt, die nordrhein-westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn nicht.

Die politische Klasse eines Landes kann sich darauf verständigen, dass die Wahl oder die Berufung in ein öffentliches Amt keine größeren individuellen Verpflichtungen mit sich bringen soll als der Verkauf von Modelleisenbahnen im Kaufhaus. Die Folgen dieser stillschweigenden Übereinkunft hat sie dann allerdings nicht mehr unter Kontrolle. Alle Parteien, und die Grünen ganz besonders, haben zunehmend Schwierigkeiten mit der Mobilisierung ihrer Basis. Immer weniger Leute sind bereit, Wahlplakate zu kleben oder sich in Fußgängerzonen für die eigene Überzeugung die Beine in den Bauch zu stehen. Erstaunlich ist das nicht.

Renate Künast verabschiedet sich aus dem Amt der Parteivorsitzenden ohne erkennbares Bedauern. Das ist nur ein weiterer Beleg dafür, dass der größte Teil des politischen Führungspersonals den Parteien als Institutionen mittlerweile kaum mehr zubilligt als die Rolle von Kaderschmieden. Darunter leidet die Glaubwürdigkeit des parlamentarischen Systems. Die schrumpfende Zahl derer, die wie der SPD-Politiker Franz Müntefering noch immer als Parteisoldaten dienen, wird den Damm auf Dauer nicht alleine halten können. BETTINA GAUS