Schnelle Hilfe Fehlanzeige

■ Legasthenie: Frustration und keiner hilft. Bis zu zwei Jahre müssen manche Bremer Eltern auf Geld für die Förderung ihre Kinder warten. So lange wächst das Problem

Kinder, die unter einer Lese-Rechtschreib-Schwäche (Legasthenie) leiden, haben es schwer in der Schule. Bundesweit sind rund fünf Prozent aller Kinder betroffen, wobei die Dunkelziffer auf bis zu 25 Prozent geschätzt wird. Das jedenfalls vermutet Nicole Husen vom Lehrinstitut für Orthographie und Schreibtechnik (L.O.S.). Aber selbst wenn Legasthenie festgestellt wird, ist es für Eltern und Kinder oft ein langer Weg, bis sie Hilfe finden.

Denn das große Problem ist in der Regel, die Lese-Rechtschreib-Schwäche rechtzeitig zu erkennen. Tests werden in den Schulen nicht durchgeführt – und noch immer erleben Kinder, dass sie als zu langsam oder lernunwillig angesehen werden, weil LehrerInnen das eigentliche Problem nicht erkennen. „Dies führt bei den Kindern oft zu großer Frustration und dem Gefühl ein Versager zu sein“, berichtet Leonore Martens vom Landesverband Bremen für Legasthenie. „Viele der Kinder landen dann auf der Sonderschule“.

Doch selbst wenn Eltern Unterstützung für ihre Kinder suchen – bei Krankenkassen oder beim Jugendamt –, wird Hilfe oft erst nach langen Kämpfen gewährt. „Auf sich allein gestellt hat man kaum Chancen“, sagt Waltraud Garthof-Scotland. Die alleinerziehende Mutter bemüht sich bereits seit einem Jahr um finanzielle Unterstützung für eine spezielle Therapie ihres Sohnes. Die richtigen Adressen und Ansprechpartner zu finden, war für die berufstätige Mutter schon aufwendig. Mal fehlte der Eintrag im Telefonbuch. Woanders fühlte man sich nicht zuständig. Dann erklärte das Jugendamt, dass es bis zu zwei Jahre dauern würde, bis sie mit finanzieller Unterstützung rechnen könne. „Damit wollte man uns gleich den Mut nehmen“, bilanziert die gefrustete 49-Jährige. Die größte Sorge der Mutter: Die Heilungschancen für Legasthenie sinken, je später mit der Therapie begonnen wird.

Vorrangig sind zwar die Schulen zuständig. Aber Leonore Martens kennt genügend Fälle, in denen keine Stunden für speziellen Förderunterricht vorhanden sind. Das betrifft auch den Fall von Waltraud Garthof-Scotland. Doch davon will Heidrun Ide, Pressesprecherin beim Sozialressort, nichts wissen: „Die Schulen sind dazu verpflichtet.“ Dann räumt sie aber ein: Wenn die Schulen nicht in der Lage dazu sind, kann man sich woanders Hilfe suchen. „Dafür kann ein Antrag auf Kostenübernahme gestellt werden.“ Dieser Weg sei zwar „leider etwas umständlich“, doch „nach dem Gesetz so vorgeschrieben“.

Die andere Richtung, die Eltern auf der Suche nach finanzieller Unterstützung einschlagen können, ist nicht viel aussichtsreicher: Sie können einen Antrag auf „Eingliederungshilfe“ stellen, wenn damit eine „drohende seelische Behinderung der Kinder zu verhüten, beziehungsweise eine vorhandene seelische Behinderung zu beseitigen“ wäre, heißt es im Informationsblatt des Amtes für Soziale Dienste. Für einen Antrag benötigen die Eltern aber erstens eine Bestätigung der Schule darüber, dass das Kind zwar bereits gefördert wird, diese Förderung aber nicht ausreicht. Doch damit tun sich viele Schulen immer noch schwer, meint Nicole Husen vom Lehrinstitut für Orthographie und Schreibtechnik (L.O.S).

Zweitens brauchen die Antrag-steller ein Gutachten vom Gesundheitsamt, das die Notwendigkeit einer besonderen Förderung bescheinigt. Auf einen Termin beim Gesundheitsamt musste Waltraud Garthof-Scotland aber zum Beispiel zwei Monate warten. Die Wartezeiten sind sehr lang, bestätigt auch das L.O.S.

Zeit also, die Waltraud Garthof-Scotland nicht wieder verstreichen lassen wollte, ohne endlich etwas für ihren schon 14-jährigen Sohn zu tun. Sie meldete Marvin kurzerhand beim L.O.S. an und bezahlt pro Monat 350 Mark aus eigener Tasche – ein Betrag, den sicher nicht jeder aufbringen kann. „Zwar gibt es eine Rückerstattung, doch nur wenn der Antrag auf Eingliederung auch durchkommt“ meint hierzu Nicole Husen vom L.O.S. Und dafür kann keiner eine Garantie geben.

Ohne professionelle Hilfe ist leider kaum eine schnelle Geldzusage zu erwarten. Hier kann der Landesverband Bremen für Legasthenie helfen und Eltern darüber informieren, an wen und vor allem wie Anträge zu stellen sind. Oft komme es dabei schon auf das richtige Vokabular an, damit die Erfolgschancen steigen. Doch auch mit dieser Unterstützung ist mit Wartezeiten von bis zu einem dreiviertel Jahr zu rechnen.

Leidtragende sind die Kinder, für die eine schnelle Hilfe wichtig wäre und die während der langwierigen Prozedur noch mehr das Gefühl vermittelt bekommen nicht „normal“ zu sein. Silke Weber

Informationen bei Leonore Martens (Landesverband Bremen für Legasthenie) Tel.: 325 335