Die Zukunft gehört der gelüpften Seele

Glück und Agonie im All: Unter dem Titel „Lemon Space“ hat das Theater Fragment eine Reihe von Lesungen organisiert, die Texte Stanislaw Lems mit musikalisch-noisiger Untermalung im Wodka-Lemon-Ambiente präsentiert

Georg Büchner nannte den Mond ein blutig Eisen. Man selbst ist geneigt, ihn einen blöden Knochen zu heißen. Am Dienstag zum Beispiel, für den die Astronomen den Nordeuropäern die einzige Mondfinsternis bis zum 9. November 2003 versprochen hatten, hielt sich der blöde Knochen von Wolken bedeckt. Das Naturschauspiel musste draußen bleiben. Und hier drinnen (wer Astronomen zitiert, muss mit den Begriffen „oben“ und „unten“ verdammt vorsichtig umgehen) reckten sich die Menschen die Hälse. Vergeblich.

Entschädigt wurden allein jene jungen Berliner, die zum Pavillon am Weinbergsweg gepilgert waren. Zwar sah auch dort, wer den Kopf in den Nacken legte, über sich nur gefrorenen Atem. Wer aber von der Terrasse in den ovalen Raum trat, hatte es nicht nur wärmer, sondern auch auf der Stelle spaciger. Kleine Lichterketten blinkten und funkelten wie große Galaxien, eine metallische Stimme plärrte aus der Konserve. Und silbrig glitzernde Stromlinien-Sessel, wie sie in der Mitte des Raums erhoben standen, sind sowieso verlässliche Indizien für futorologische Zusammenhänge. Es wunderte also keinen, dass der DJ mit „Who owns the future?“ aufspielte.

„Wem gehört die Zukunft?“, erläuterte Palma Kunkel, die singende Tellermine, dem tief in schwarzen Kunstledersofas versunkenen Publikum, sei die Frage, die von nun an jeden Dienstag an diesem Ort gestellt werden solle. Unter dem Titel „Lemon Space“ hat das Theater Fragment eine Reihe von Lesungen organisiert, die Texte Stanislaw Lems mit musikalisch-noisiger Untermalung im Wodka-Lemon-Ambiente präsentiert. Das Programmheft verspricht „die fragmentarische Reanimation des kosmischen Raums für Erdianer“. So was muss man schreiben, wenn es um Sciencefiction geht.

Lem selbst fordert von der SF-Literatur einen „gnoseologischen Optimismus“, die Verwendung schöpferischer Imagination zur verantwortlichen Ausleuchtung wissenschaftlicher Fakten und Hypothesen. Der polnische Autor und Wissenschaftstheoretiker hegte stets die Hoffnung, dass Literatur ein Modell alternativer Lebens- gleichwie Wissenschaftsentwürfe sein könnte – nicht zuletzt, weil sie auf kognitive Grenzen verweist. Das Scheitern seiner Helden hat selten mit der Übermacht außerirdischer Intelligenz zu tun. In 99 Prozent aller Fälle ist das Fiasko in irdischer Ignoranz begründet.

Der Kadett Pirx etwa, von dem am Dienstag erzählt wurde, hat bei seiner Ausbildung zum Weltraumpiloten eine ganze Menge über das All gelernt. Hochkomplizierte Technik beherrscht er, der Blick auf die Erde als blaue Kugel lässt ihn nicht schwindeln. Aber diese verdammte Stubenfliege, die sich in seine Rakete verirrt hat, war einfach nie im Lehrplan vorgesehen. Das Mistviech verursacht einen Kurzschluss und schafft es, Pirx' ersten All-Alleinflug zu seinem letzten zu machen.

Na ja, beinahe. Wäre auch zu schade gewesen. Ulrich Reinhardt und Moritz Röhl haben von Glück, Missgunst und Agonie im All so schön erzählt, in Geist und Seele lüpfender Mischung aus ironischer Distanz und Anteilnahme, dass man von Pirx' Abenteuern unbedingt bald mehr hören möchte. Mondfinsternis hin oder her. Schließlich geht es um die Zukunft.CHRISTIANE KÜHL

Nächster „Lemon Space“ am 16. Januar, 21 Uhr, Pavillon am Weinbergsweg, Zionskirchstr. 11, Berlin-Mitte