In die Hoffnung investieren

Eine Stadtreform soll Algeriens Hauptstadt zur lukrativen Mittelmeermetropole umgestalten. Ein Vorhaben, das bei der Bevölkerung auf viel Symphatie stößt. Die Altstadt, Hort der Armut und Zentrum der Islamisten, ist Herzstück der Reform

Die Kasbah, seit 1992 Weltkulturerbe, muss dringend renoviert werden

von REINER WANDLER

Einen Kurztripp nach Algier? Ein gemütlicher Spaziergang durch die Kasbah auf dem gleichen Weg, auf dem 1830 der letzte türkische Dey die Stadt verließ, nachdem seine Soldaten den französischen Eroberern unterlegen waren. Die Rue Sidi Dris Hamidouche hinunter, 497 Stufen durch die enge, verwinkelte Altstadt, auf den Place des Martyrs. Von dort über eine breite Treppe hinab in die unterirdischen Gewölbe. Hindurch unter den breiten Uferboulevards. Vorbei an unzähligen Geschäften, die vom Kunsthandwerk bis zum Prêt-à-porter und der Haute Couture internationaler Modeschöpfer alles anbieten. Weiter über einen Laufsteg zum Fischereihafen, wo internationale Restaurants und ein Cybercafé zum Ausruhen laden . . .

Was heute noch unvorstellbar scheint, soll schon bald Alltag werden. Ein ehrgeiziges Reformprojekt soll die glorreiche Vergangenheit der in diesem Jahr tausend Jahre alt gewordenen Stadt El Dzazair (auf deutsch: Die Inseln) mit der Zukunft verbinden. „Wir machen aus Algier die mediterane Hauptstadt des 21. Jahrhunderts“, verspricht ein Team junger Architekten, die im Auftrag der Stadtverwaltung eine moderne, weltoffene Stadt planen, die für die Einwohner lebenswerter als bisher sein soll.

„In die Hoffnung investieren“, heißt das Vorhaben, das bei der Bevölkerung auf viel Symphatie stößt. Ausgebildet wurden die Städteplaner auf der anderen Seite des Mittelmeeres, in Barcelona. Dort wurde in den letzten Jahren der mittelalterliche Kern saniert, und „die Stadt zum Meer hin geöffnet“. „Das Gleiche werden wir jetzt hier machen“, sagt Projektleiter Guellal Said.

Die Kasbah, seit 1992 Weltkulturerbe, hat eine umfassende Restaurierung dringend nötig. Die zerfallenen Fassaden und der modrige Geruch in den Gassen zeugen von der systematischen Vernachlässigung der Altstadt seit der französischen Eroberung im 19. Jahrhundert. Die Kolonialherren bauten um die Kasbah herum ihr neues Algier ganz im Pariser Stil. Die von einheimischer Bevölkerung bewohnten Häuser entlang verwinkelter Gassen galten ihnen als Feindesland. Hier konzentrierte sich 1830 der letzte Widerstand gegen die Besetzung der Stadt, von hier ging 150 Jahre später der entscheidende Impuls zur Befreiung des Landes aus.

Auch die neuen Herren der Nationalen Befreiungsfront (FLN) schauten mehr in die modernen Stadtteile als in die Kasbah, wo Überbevölkerung und soziale Missstände den Ton angaben. Die Landflucht und ein Erdbeben 1989 verstärkten die Wohnungsnot zusätzlich. Ein idealer Nährboden für die radikalen Islamisten, die seit 1992 mit ihren Anschlägen Stadt und Land unsicher machen. Jetzt, nach sieben Jahren bürgerkriegsähnlicher Zustände, sind Armee und Polizei wieder Herr der Lage. Das Team um Hauptstadtminister Rahmani will die Probleme nun von Grund auf angehen.

Die Kasbah wurde in fünf Distrikte unterteilt. In einem ersten Schritt werden die beiden nördlichsten vor dem Zerfall gerettet. „Sie wurden wegen ihres besonderen kulturellen Wertes ausgesucht“, sagt Architekt Said. Neben fünf prunkvollen, otomanischen Palästen mit kachelverzierten Innenhöfen und Dachterassen mit Blick über die Bucht befindet sich hier die Moschee Sidi Ramdane. Mit 1.300 Jahren ist sie älter als die Stadt selbst. In einem ersten Schritt wurden in den letzten Wochen 750 Familien in neue Wohnblocks am Stadtrand umgesiedelt, die die Regierung zur Verfügung gestellt hat. Die Frage nach Bürgerprotesten, wie es sie in Barcelona gab, verwundern Said: „Wer hat schon was dagegen, wenn er mit seiner zehnköpfigen Familie aus einer maroden Ein-Zimmer-Notunterkunft in eine moderne Drei-Zimmer-Wohnung umgesetzt wird?“, fragt der junge Architekt.

Die Besitzer der Häuser werden zur Renovierung angehalten. „Bis zu 40 Prozent zahlen wir, in besonderen Notfällen auch mehr.“ Saids Behörde steht bei den anfallenden Arbeiten den Hausbesitzern nicht nur finanziell, sondern auch mit technischem Rat zur Seite. Die alten Werkstätten und Lokale, die ebenfalls zu Notunterkünften verkommen sind, sollen wieder ihrer einstigen Bestimmung zugeführt werden. „Dazu wollen wir junge Leute in traditionellen Handwerksberufen ausbilden“, sagt Said. Die renovierte Kasbah soll wieder Herzstück der Stadt sein. „Unser oberstes Ziel ist es, die Altstadt wieder ans Meer anzuschließen“, beschreibt der Städteplaner sein Vorhaben.

Einst zogen sich die engen Gassen bis hinunter in den Fischereihafen. Dann rissen die Franzosen 420 Häuser, darunter 47 maurische Paläste, ab, um entlang der Küste Platz für breite Boulevards, den Place des Armes und die arkadengeschmückten Gebäude der Kolonialverwaltung zu schaffen.

Nirgends ist die Grenze zwischen Alt und Neu so deutlich wie hier, an dem heutigen Place des Martyrs. Selbst unterirdisch stoßen die beiden Epochen aufeinander. Die Franzosen stockten die mächtigen Gewölbekeller unter dem Platz, mit denen die Türken dem Meer Land abtrotzten, um eine Etage auf und verlängerten sie zum Hafen hin. Jetzt werden die muffigen Hallen restauriert und mit Licht und Lüftung versehen. Das obere, französische Stockwerk wird internationale Modeboutiquen, das untere ein Automobil- und Technikmuseum aufnehmen. „14.000 Quadratmeter zum Flanieren“, sagt Architekt Said stolz.

Auch der Rest der Bucht von Algier wird im Städteplan bedacht. Im Stadtteil der Marine, unweit des Place des Martyrs, entsteht das neue Geschäftsviertel der Stadt. Kernstück ist die altehrwürdige Börse, die durch die Privatisierung der Staatsindustrie zu neuem Leben erweckt wurde. Die daran anschließende Uferpromenade von Bab el Oued ist bereits fertig. Bänke zwischen Palmen, die von der Stadt Barcelona gespendet wurden, laden zum Blick auf die Bucht. Hier vor den Toren des ehemaligen französischen Arbeiterviertels wird ein künstlicher Strand aufgeschüttet und ein Yachthafen gebaut. Die Abwässer der Zwei-Millionen-Stadt, die hier bisher ungeklärt ins Meer flossen, werden künftig in den östlichen Vorort El Harrach umgeleitet, wo ein Klärwerk geplant ist. Die Fassaden im stark an Marseille erinnernden Bab el Oued werden ebenfalls mit Zuschüssen restauriert.

„Alle Projekte auf einmal können wir nicht angehen, dazu fehlen uns die Mittel“, gibt der Architekt zu. In diesem Jahr soll zumindest die Rue Sidi Dris Hamidouche in neuem Glanze erstrahlen, die Läden in den Gewölbekellern und die Restaurants im Hafen offen sein. Die Bewohner von Bab el Oued werden sich noch bis nächstes Jahr gedulden müssen, um an ihren Strand zu gehen. Und die Sanierung der Kasbah wird frühestens in sieben Jahren abgeschlossen sein. Dann verdient Algier wieder seinen Namen La Blanche – die Weiße. „Müssen nur noch die Touristen zurückkommen“, sagt Guellal Said. „Inschallah – So Gott will.“