Ein Widerstandskämpfer und sein Schatten

Michael Schindhelm, der Intendant des Basler Theaters, hat seine Kontakte zur Stasi geoutet. In seiner essayistischen Erklärung redet er selbstmitleidig um die Sache herum

Michael Schindhelm, der Intendant des Basler Theaters, hat zwei Probleme. Das Basler Publikum honoriert nicht, dass er ambitioniertes Theater wagt. Und: Schindhelm, der in der DDR Physik studierte, Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften war und über die Stationen Gera und Nordhausen 1996 nach Basel berufen wurde, hat sich als Stasi-Mitarbeiter geoutet.

Dass da was im Busche sein könnte, ahnte man bereits vor einem Jahr, als er in seinem als Roman deklarierten Buch „Roberts Reise“ eine Stasi-Episode einflocht und sie zugleich als Bagetelle abtat. Schon in diesem verklausulierten autobiografischen Versuch über seine Jugend- und Studienjahre stand Schindhelm offensichtlich unter Rechtfertigungsdruck.

Für was er sich rechtfertigen zu müssen glaubte, weiß man seit dieser Woche. Er sei Mitte der Achtzigerjahre während seines Studiums im russischen Woronesch von der Stasi zur Mitarbeit gezwungen worden, bekannte er. Später, zurück in der DDR, sei es zu acht konspirativen Treffen mit einem MfS-Offizier gekommen. Dabei soll allerdings nie etwas zur Sprache gekommen sein, „was jemandem hätte gefährlich werden können“.

Der Präsident der Basler Theatergenossenschaft und die politisch Verantwortlichen der Stadt haben sich in ersten Erklärungen vor ihren Intendanten gestellt. Schindhelm steht trotzdem unter starkem Beschuss, da er offensichtlich auch dann noch keinen Grund sah, sich zu seiner Vergangenheit zu bekennen, als ihm seine Akten vollständig zugänglich waren. In die Offensive ging er erst, als die Berliner Gauck-Behörde ihm mitteilte, ein Journalist habe Akteneinsicht gefordert.

Das Problematische an Schindhelms Outing besteht nicht nur darin, dass er seit mehr als zehn Jahren seine wie auch immer gearteten Stasikontakte verschwiegen hat. Und es geht auch nicht nur darum, dass bei ihm, wie in anderen Fällen auch, eine Grenzlinie zwischen Opfersein und Täterschaft kaum zu ziehen ist.

Schindhelms Offenbarung wirft vor allem die Frage auf, warum er nun ein derart großes Aufhebens um einen Vorgang macht, der seiner Ansicht nach keines Aufhebens wert ist. Schon bei der Lektüre von „Roberts Reise“ stieß auf, dass Schindhelm permanent sein Außenseitertum in der DDR akzentuierte und sich zum Widerstandskämpfer stilisierte. Nun irritiert, dass er großes mediales Geschütz auffährt und in der Zeit auf einer ganzen Seite selbstmitleidig um die Sache herumredet.

Der Essay wirkt wie eine Wiederholung seines gescheiterten literarischen Versuchs. Bei der Schilderung der seltsamen Begegnung mit zwei Stasi-Offizieren in Woronesch kommt es zu Sätzen wie: „Die Einsamkeit dieses Augenblicks ist mir gut in Erinnerung geblieben.“

Einmal mehr wird deutlich, dass sich da einer am eigenen Leben vorbeischwindelt und auch noch medialen Mehrwert herausschlägt. Und es wird ein Basler Intendant sichtbar, dem der Schrecken in die Glieder fuhr, als er sich selbst in seinen Akten begegnete. Also spricht er von einem „Schatten“, der ihm von der Stasi gestohlen worden sei, und meint in Wirklichkeit jenes höchst fragile Gefühl persönlicher Integrität, das sich morgens beim Blick in den Spiegel immer mal wieder einstellen sollte.

Damit hat Schindhelm Probleme, und deshalb ist er nicht erst seit dieser Woche damit beschäftigt, das Bild vom ehemaligen Widerstandskämpfer Schindhelm zu pflegen.

Dabei übersieht er, dass seine Stasikontakte auch heute, mehr als ein Jahrzehnt nach dem Mauerfall, mit einfachen Worten zu klären gewesen wären. Etwa derart: „Ich habe Informationen über Bekannte an die Stasi weitergeben, weil ich den auf mich ausgeübten Druck nicht mehr aushielt. Die Betroffenen habe ich sofort informiert und war der Ansicht, dass die Informationen niemandem schaden konnten. Sollte ich mich getäuscht haben, bitte ich die Betroffenen um Entschuldigung.“

Mehr wäre nicht nötig gewesen. Hätte Schindhelm solche Worte gefunden, könnte man wieder zur Tagesordnung übergehen. Da er aber zur Selbststilisierung neigt, hat Basel jetzt tatsächlich einen Fall Schindhelm. Wie man mit dem Fall umgehen wird, entscheidet der Verwaltungsrat des Theaters am Montag. JÜRGEN BERGER