Linke freuen sich über den Coup

Mit Claudia Roth hoffen Grüne wie Christian Ströbele „jene Stammwähler zurückzugewinnen, die zu Recht enttäuscht sind von unserer Partei“

aus Wörlitz SEVERIN WEILAND

Rezzo Schlauch sollte Recht behalten. Am Morgen hatte der Grünen-Fraktionschef vor dem Tagungshotel im sachsen-anhaltischen Wörlitz eine Prognose gewagt. Wenn noch am selben Tag eine Kandidatin für die Nachfolge von Renate Künast präsentiert würde, wäre für die Partei „die Krone der Professionalität erreicht“.

Kurz vor Mittag konnte man gestern durch die Fenster des Saales die Abgeordneten der Bundestagsfraktion applaudieren sehen. Joschka Fischer saß wohl nicht zufällig hinter Claudia Roth, während diese ihre Kandidatur für die Parteispitze bekannt gab. „Joschka Fischer ist als Letzter informiert worden“, wird anschließend der junge Abgeordnete Christian Simmert sagen. Vom zeitlichen Ablauf her mag das stimmen. Erst am Freitagmorgen hatten Christian Ströbele und Roth dem Außenminister die Nachricht überbracht. Doch schon zuvor war gemunkelt worden, Fischer habe auf der Sitzung des Parteirats in dieser Woche eindringlich in Roths Richtung geschaut. Roth und Fischer – passt das zusammen? Sie, die während der Kosovokrise zur Minderheit der Kriegsgegner zählte, während der Außenminister das Eingreifen verteidigte.

An diesem Tag soll es bei den Grünen so sein. Roth, sagt der Realo und Haushaltsexperte Oswald Metzger, habe „den Konsolidierungskurs in der Fraktion mitgetragen, selbst als es zu Lasten ihrer eigenen Politikfelder ging“. Mit Claudia Roth stellt sich eine Frau zur Kandidatur, die pragmatisch und links zugleich ist. Christian Ströbele erhofft sich mit ihrer Wahl „jene Stammwähler zurück zu gewinnen, die zu Recht enttäuscht sind von unserer Partei“.

Fritz Kuhn, der Parteichef an ihrer Seite, kennt sie seit den 70ern, als beide in München Theaterwissenschaften studierten. Man werde gut zusammenarbeiten, sagt Kuhn. Und wenn es mal kracht, dann hätten „die Oberschwaben eine gute Art, mit Konflikten umzugehen“. Mit Roth haben die Linken eine Frau ins Rennen geschickt, der es an Selbstbewusstsein nicht mangeln wird. Manche in der Partei hatten befürchtet, eine schwache Frau würde im Schatten des männlichen Parteivorsitzenden stehen. „Kuhn muss ihr Raum innerhalb des Teams lassen, das haben wir ihm auch klar gemacht“, sagt Realo Metzger.

Den Linken ist die Freude über den Coup anzumerken. „Wir haben gesucht und unsere Idealkandidatin gefunden, betont der Parteilinke Ströbele. Er und eine Gruppe Abgeordneter hatten bereits vor Wörlitz mit Roth gesprochen. Die zierte sich zunächst, muss sie doch mit einem Wechsel an die Parteispitze ihr Bundestagsmandat abgeben. Das aber will sie in Kauf nehmen.

Ein Zufall war es, dass die ohnehin lange anberaumte Klausurtagung in die Woche des Rücktritts von Andrea Fischer und des Aufstiegs von Renate Künast zur neuen Verbraucherschutzministerin fiel. „Da waren alle zusammen, man konnte auch im Hotelzimmer noch mal miteinander reden“, sagte der Abgeordnete Simmert. Dass die linken Abgeordneten sich so schnell auf eine Nachfolgerin einigen würden, war keineswegs ausgemacht. Noch am Donnerstag hatten einzelne vor einem überhasteten Schritt gewarnt. Auf einer Generaldebatte der Fraktion war auch über die Möglichkeit debattiert worden, die Trennung von Amt und Mandat aufzuheben. Diese Variante wurde jedoch schon bald mit einem Blick in den Terminkalender verworfen. „Ich bin doch nicht wahnsinnig und beginne mitten im Wahlkampf eine Satzungsdiskussion“, erklärte Rezzo Schlauch. Denn der Bundesparteitag Anfang März, auf dem Roth gewählt werden soll, liegt mitten in der heißen Phase des Landtagswahlkampfes in Baden-Württemberg.

So blieb am Ende lediglich die Personalfrage. Die wurde im Verlaufe des Donnerstagabends rege diskutiert. Da tuschelten Trittin, Ströbele und Roth an einem Tisch, ein paar Meter entfernt saßen Schlauch, Kuhn und Cem Özdemir – die Spätzle-Connection. Man beobachtete, wer mit wem sprach. Irgendwann gegen Mitternacht, der Saal war schon halb leer, sah man dann Trittin und Kuhn lange und einträchtig abseits der Kungelrunden sitzen. Da ahnte mancher, dass es die Grünen mit ihrer Kandidatin sehr eilig hatten. Fast ein wenig vergessen war zu diesem Zeitpunkt die Exministerin Andrea Fischer. Die Fraktion hatte sich lobend über ihre Art und Weise des Rücktrittes geäußert. Das war’s dann aber auch schon. Wie es mit ihr weitergehe? „Ich werde jetzt erst einmal Urlaub machen“, so Fischer.