Mehr als Stift und Papier

■ „Junge Autoren – neue Poetik?“: Eine Podiumsdiskussion

Was bedeutet Schreiben für die Autoren der deutschen Gegen-wartsliteratur in Praxis und Theorie? Dieser Frage geht die Podiumsdiskussion Junge Autoren – neue Poetik? im Literaturhaus nach. Wend Kässens, Leiter der Literaturredaktion des NDR, hat vier AutorInnen der jüngeren Genera-tion (Jahrgänge '62 bis '71) eingeladen, um über die Produktion von Literatur zu diskutieren: Ingo Schulze, Steffen Kopetzky, Ulrike Draesner und Georg M. Oswald.

Ingo Schulze hat 1998 mit seinen Simple Storys über belanglose Menschen und ihre Verwicklungen eins der überschätztesten Bücher des Jahres vorgelegt (laut Spiegel der „langersehnte Roman über das vereinigte Deutschland“). Steffen Kopetzkys gewagt unzeitgemäßes Debüt, der Reiseroman Eine uneigentliche Reise, kommt – gelegentlich an Walter Serners Drehscharniersätze, sowie dessen Vorliebe für Reisebekanntschaften in seinen Erzählungen gemahnend – den Themen seiner eigenen „Handenzyklopädie“ (Untertitel), der Abschweifung, der Ungewissheit, oft gefährlich nah.

Im Gegensatz dazu bastelt Ulrike Draesner in Lichtpause aus magisch-lyrischen Sätzen (“Zähne zerbeißen Brot, Radieschen zerspringen im Mund, eine Gabel klirrt, der eigene Speichel platzt.“) eine sprachfreudige „Biographie“ der elfjährigen Hilde. Das aktuells-te Werk in der Runde stammt von Georg M. Oswald. Sein Roman Alles was zählt ist eine haarscharfe, komische Analyse von Selbstaufgabe und Selbstüberschätzung in der Karrierewelt.

Zu ihrem Schreiben haben sich alle vier AutorInnen bereits in der letztes Jahr erschienen Anthologie Schraffur der Welt (Quadriga Verlag, Berlin) geäußert. Georg M. Oswald entwirft darin das eher konventionelle Bild des Dichters, der seine Ideen auf Zettel schreibt und seinen Text nachts in den Computer hackt. Auch Steffen Kopetzky beschwört den magischen Augenblick in der Nacht, in dem der Text unmerklich zu ihm kommt. Für Ulrike Draesner ist Schreiben dagegen eher existentiell. Ihre Autorenpersönlichkeit tritt hinter dem Werk zurück: „Erst Sprache, dann Ich. Erst die Texte, dann Leben.“ – Das Verhältnis zur Realität steht bei Ingo Schulze im Vordergrund: Für eine Annäherung an die Wirklichkeit muss der Autor über seinen Sprachstil neu befinden. Seine Stimme kann daher nie authentisch sein.

Eine endgültige Antwort auf die Frage nach einer Theorie des Schreibens weiß auch Perikles Monioudis, Herausgeber von Schraffur der Welt, nicht: „Wer schreibt etwas auf, das er selbst nicht versteht? Antwort: der Schriftsteller.“

Christian T. Schön

morgen, 20 Uhr, Literaturhaus; Übertragung auf Radio 3 (NDR) am 4.2., 20.15 Uhr