Isomatten zu Hüten

■ Einen Monat vor Beginn des Bremer Karnevals checkt die taz die Lage: Wer und was steckt hinter den gnadenlos kreativen Kostümen? Ein Bericht aus dem Versuchslabor

Am 16. Februar werden wir wie jedes Jahr neidisch am Straßenrand stehen und uns über die gnadenlos kreativen Kostüme und das taktlos rhythmussichere Samba-Getrommel von 1.500 Verrückten wundern. Abgestimmt mit dem diesjährigen Kulturthema „Ostasien“ begibt sich der 16. Bremer Karneval auf die „Reise nach Sambasien“ und verunsichert die hanseatische Steifheit, ohne dabei auf das brutal-besoffene Tschingerassa der Freimarkts-Umzüge oder der als Fest getarnten Konsumoffensive „Viertelplage“ zurückgreifen zu müssen.

Früh genug, dachte sich die taz, um nachzufühlen, ob alles mit rechten Dingen zugeht oder ob dieses Jahr heimlich Karstadts Instant-Harlekin-Kostüme mit bunten Bommeln aufgerüscht werden. Beinahe exklusiv gelang uns der Blick hinter die Kulissen der dienstältesten Sambagruppe Bremens, die beim ersten Bremer Karneval noch einsam um die Häuser zog und sowohl BürgerInnen als auch die Polizei verstörte.

Im Dachgeschoss des Kontorhauses hat „Confusão“ sein Versuchslabor. Hier wird Müll auf seine Karnevalstauglichkeit überprüft, werden geheime Techniken der Maskenherstellung erfunden und Isomatten mit Puppenarmen vereinigt. Jawoll, Isomatten. Wir brauchen uns nichts vorzumachen. Die großen mit Glitzerstoffen bespannten Hüte der Karnevals-Initiatoren lagen früher in Turnhallen und Wohnzimmern und dienten verschwitzten Seminar-TeilnehmerInnen. Unappetitlich sind auch die kleinen Puppenärmchen, die fleischfarben und amputiert aus der rohen Hutform herausstaken. „Mit Goldlack angesprüht sehen die später aus wie Rauschgoldengel!“, behauptet Susanne Sassen (36) und ruft die Bremer Bevölkerung zu einer Massenverstümmelung ihrer Puppen auf: „Wir brauchen noch Arme für die Hüte und Beine für die Krägen!“ Notfalls würden sie die Amputationen auch selbst durchführen, fügt sie hinzu und zeigt herzlos auf einen Waschkorb voller Puppen-Extremitäten.

Legitimiert wird diese Greueltat durch die Idee, sich von der Vielarmigkeit und -beinigkeit ostasiatischer Gottheiten inspirieren zu lassen. In einem Skizzenbuch der Gruppe lässt sich nachvollziehen, welchen Weg die Kostüme von der Idee bis zur Realisation nehmen. „Manchmal müssen wir Kostüm-Ideen wieder verwerfen, weil sie zum Beispiel beim Trommeln behindern“, erklärt die Schweizerin Janine Jaeggi (34), die einst vom alternativen Züricher Karneval angeregt wurde, Ähnliches in Bremen anzuzetteln.

Die freischaffende Künstlerin ist neben vielen kleineren Projekten das ganze Jahr über leidenschaftlich mit ihrer Haupt-Sache beschäftigt. Die Kosten für Stoffe und Materialien spielt die Sambagruppe mit Auftritte herein. Allerdings werden auch alte Kostüme recycelt und alles verbraten, was nicht schnell genug davonkommt, wie zum Beispiel Dränagerohre oder Lametta-Girlanden.

Die Herstellungsverfahren sind überwiegend selbst entwickelt. „Anfangs haben wir noch viel mit Pattex gearbeitet und getackert“, erzählt Susanne. Aber mit den Jahren stiegen die Ansprüche und so laden sie immer wieder jemanden ein, der ihnen etwa Pappmache-Techniken oder das Hutmachen erklärt. „Jeder, der was weiß, wird gelöchert“, sagt Martin Sasse (35). Von einem Bühnenbildner bekamen sie den Tipp, die kleinen Puppenmasken, die auf Kragen, Hut und Armen befestigt sind, aus Gummimilch zu gießen.

Trotz wiederkehrender Motive und der einheitlichen Farben Gold, Rot, Orange und Schwarz soll jedes Kostüm der neun Confusãos wieder eine eigene Note bekommen, sagt Janine. Und das gucken wir uns dann im Februar an und vielleicht wippen wir auch ein bisschen mit den Füßen und grüßen unsere Kinderpuppe, deren Arme und Beine golden zu uns herüberwinken, als wollten sie sagen: Auch in dir steckt ein Rauschgoldengel, man muss nur mitmachen. ei

Für die Gestaltung der Außen-Räume in den Wallanlagen und der Bühnen in Innenstadt und Viertel braucht die Koordinationsgruppe noch dringend Schirme und Koffer jeder Größe. Abzugeben im Büro: Lagerhaus, 2. Stock. Außerdem wird eine Drachentanz-Gruppe gesucht. Auskunft: 7941943 oder info@bremer-karneval.de / www.bremer-karneval.de