Ein faules Wunderkind

■ Die Geigerin Katrin Scholz ist die jüngste Professorin an der Hochschule für Künste. Heute Abend ist die 31-Jährige als Solistin in der Glocke zu erleben

Als die Berlinerin Katrin Scholz 1998 für eine C-4-Professur für Violine von der Bremer Hochschule für Künste berufen wurde, war sie mit 29 Jahren die jüngste der ProfessorInnen. Gleichwohl verfolgt sie mit einem übervollen Terminkalender nebenher auch noch ihren Weg als Solistin und als Leiterin des renommierten Kammerorches-ters Berlin. Heute und morgen spielt sie in der Glocke Ludwig van Beethovens Violinkonzert in D-Dur mit dem Philharmonischen Staatsorchester. Wir sprachen vorab mit der jungen Geigerin über die Last des Übens, die Lust des Unterrichtens und die Macht des Musikmarktes.

taz: Frau Scholz, Sie spielen Geige seit dem fünften Lebensjahr und haben eine außerordentliche Karriere gemacht. Wie sehen Sie das im Nachhinein: Ist die kindliche Fitness unabdingbar?

Katrin Scholz: Nun ja: Ich habe jedenfalls nie viel geübt. So wenig, dass mir meine Eltern deswegen sogar mal die Geige weggenommen haben ...

Wann kam denn dann der Wunsch nach dem Beruf der Geigerin?

Das kann ich nicht sagen, weil es immer klar war. Geigen hat mir einfach immer Spaß gemacht.

Sie spielen gerne und viel virtuose Musik. Das ist schwer, was macht daran Spaß?

Man fühlt sich dann mehr als Geiger. Ich war immer ein bisschen faul und manche Stücke von Paganini kann ich nicht spielen, weil es mir zu viel Mühe machen würde. Aber alle anderen, Wienawski und solche Leute, machen einfach Spaß.

Was halten Sie für erforderlich, damit aus dem jugendlichen „Handwerker“ lebenslang ein bedeutender Interpret werden kann?

Reine Wunderkinder bleiben auf der Strecke. Es ist unbedingt erforderlich, dass man Musik als etwas Erfüllendes wahrnimmt und das geht nicht mit nur gelernter Technik. Natürlich gibt es die Phasen des Zweifels, aber man muss immer inspiriert spielen, nie mit Routine.

Sie haben von 1988 bis 1995 an der Hanns Eisler-Musikhochschule in Berlin studiert. Sie haben die Wende erlebt und zwei verschiedene Ausbildungssysteme – wie bewerten Sie das heute?

Die jugendliche Erziehung war in der ehemaligen DDR besser betreut. Die Dichte von erreichbaren Lehrern war bei uns größer.

Sie leiten seit 1995 das Kammerorchester Berlin. Mit welchem Schwerpunkt?

Wie man so schön sagt: von Bach bis Schnittke. Viel Haydn, seine Sinfonien finde ich viel spannender als die von Mozart, der setzt auch mal ein Fragezeichen ... Ansons-ten bewegen wir uns auf dem freien Musikmarkt und da müssen wir natürlich Programmkompromisse mit den Highlights machen.

Sie haben sehr jung eine Professur angenommen. Was bedeutet der Unterricht für Sie?

Ich bekomme sehr viel auf der menschlichen Ebene. Ich habe mit Persönlichkeiten zu tun, alle sind Kostbarkeiten. Ich genieße die Intensität, mit der man sich mit ihnen auseinander setzen muss. Wenn man Sachen erklären muss, muss man ja über sie nachgedacht haben, das ist ein unglaublicher Lerneffekt. Daneben ist die menschliche Betreuung die Hauptaufgabe.

Wenn Sie an unserem Musikbetrieb etwas verändern könnten, was wäre das?

Ganz klar mehr Chancen für junge Leute. Dann hätten die vielleicht auch die Kraft zu verändern, dass der Musikbetrieb leider nichts anderes ist als ein Marktbetrieb.

Beethoven hat 1817 seine Sinfonien metronomisiert. Ausdrücke wie Allegro, Andante, Adagio und Presto schrieb er „einer barbarischen Vergangenheit“ zu. Kein Werk ist von falschen Tempovorstellungen so bedroht wie sein Violinkonzert, das Sie heute spielen. Wie entscheiden Sie?

Wenn man das Stück sehr schnell spielt, also nach den originalen Tempoangaben von Beethoven, wird es für mein Verständnis zu sehr ein Virtuosenkonzert. Wichtig ist, und darauf hat auch Beethoven bestanden, dass man den Charakter erkennt. Ich spiele es daher nicht so schnell, und ich kann nicht ein Tempo spielen, in dem ich das Stück nicht empfinde, bloß weil es angeblich richtig ist ...

Zur Funktion des Soloinstrumentes: Es ist „Primus inter Pares“, und das scheint mir die interpretatorische Schwierigkeit auszumachen. Der ganze Anfang sind nur ornamentale Umspielungen...

Ja, der Solist begleitet sogar. Keinesfalls darf man sich in den Vordergrund spielen, aber man muss hörbar sein. Und dann kommen ein paar wahnsinnige Leuchtmomente. Andererseits: Man ist klassisch eingesperrt in einen strengen rhythmischen Ablauf, man kann wenig ausspielen ...

Das klingt ja nicht gut. Was ist denn das Tolle?

Ich habe das Stück zum ersten Mal mit achtzehn Jahren gespielt und fand es langweilig. Jetzt entdecke ich so viel, es ist immer wieder neu, man muss jede Note erkämpfen und mit jeder etwas ausdrücken ...

Fragen: Ute Schalz-Laurenze

Katrin Scholz spielt heute und morgen in der Glocke um 20 Uhr im Philharmonischen Abonnementskonzert Beethovens Violinkonzert. Die Leitung hat Ulf Schirmer.