Der Nebenkriegsschauplatz

Die Suche nach „Schuldigen“ im Fall Sebnitz geht weiter. Jetzt prüft die sächsische Landesregierung rechtliche Schritte gegen „Bild“. Die aber fühlt sich ebenso wenig verantwortlich wie die Justiz

von HEIKO DILK

Es ist beinahe vier Jahre her, dass Joseph Kantelberg-Abdulla ums Leben gekommen ist. Noch immer ist ungeklärt, warum er starb. Also ermittelt die Staatsanwaltschaft weiter – doch nicht nur sie. Auch die sächsische Staatsregierung ermittelt kräftig mit – allerdings mit ganz anderem Ziel: Sie lässt prüfen, ob sie die Bild-Zeitung gewissermaßen als Leitmedium wegen ihrer Berichterstattung über Sebnitz verklagen kann.

Denn Sebnitz wird wohl auf unabsehbare Zeit der „Fall Sebnitz“ bleiben, immer in Verbindung mit dem Ereignis, welches über Monate im Blickpunkt der Öffentlichkeit stand. Sebnitz ist jetzt ein Symbol – wie Eschede, Enschede oder Hoyerswerda.

Dabei geht es schon lange nicht mehr allein um den Tod eines Jungen oder rechte Gewalt. Es geht auch um Versagen. Und wie bei dem Streit kleiner Kinder geht es darum, wer „angefangen“ hat: Die sächsische Justiz, weil sie schlampig ermittelt hat, oder die Medien, weil sie vorschnell und scheinbar voreingenommen berichtet haben.

Für Sachsens Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf ist der Fall klar: „In den USA wäre in einem solchen Fall Schadenersatz in Millionenhöhe fällig“, ließ er bereits im Dezember verlauten. Allerdings sind wir nicht in den USA. Was Biedenkopf durchaus wisse, wie Michael Sagurna, Pressesprecher der sächsischen Landesregierung, sagt: Nicht umsonst habe „Biedenkopf den Konjunktiv gewählt“. Schließlich sei auch in Dresden bekannt, dass „eine Entschädigung in Millionenbeträgen in Deutschland weder üblich noch möglich ist“. Dennoch werden alle „Möglichkeiten einer Klage gegen die Bild-Zeitung abgeklopft“.

Beleidigte Gruppe

Dabei ist noch völlig unklar, auf welcher Grundlage eine solche Klage erhoben werden könnte. Sagurna: „Ich denke da zum Beispiel an die Beleidigungsfähigkeit von Gruppen.“ Doch all das werde zunächst einmal geprüft. Schließlich sei ebenfalls noch gar nicht geklärt, wer überhaupt Kläger sein könnte.

Bei dieser Prüfung wird das sächsische Justizministerium sicherlich auch über die Auffassung der Rechtsprechung zu dem Thema stolpern. Da heißt es: „Personengemeinschaften sind dann beleidigungsfähig, wenn sie eine anerkannte soziale Funktion erfüllen, institutionell verfestigt sind und über die Fähigkeit einer einheitlichen Willensbildung verfügen.“ Mein Dorf, meine Stadt, mein Staat – eine Personengemeinschaft? Wohl kaum.

Der Axel Springer Verlag braucht also vorerst nicht zu befürchten, dass Millionen-Forderungen auf ihn zukommen. Hat er auch nicht: „Wir gehen davon aus, dass es keine gesetzliche Grundlage für eine solche Klage gibt“, sagt Springer-Sprecherin Edda Fels. Und verweist noch einmal auf die im Blatt selbst veröffentlichte Chronik, in der dokumentiert wird, dass der Fall Sebnitz erst auf die Titelseite gehoben worden sei, als die Staatsanwaltschaft drei Personen verhaftet hatte. Auch Bild-Vizechef Karl Günther Barth betonte in einem Interview, dass Bild die Regeln journalistischer Sorgfalt eingehalten habe. Schuld, so Barth im Fachdienst Message, trage vielmehr in erster Linie die sächsische Justiz, die drei Monate lang ermittelt und drei Leute wegen Mordverdachts verhaftet habe, um nach ein paar Tagen festzustellen, dass ihr Verdacht aus der Luft gegriffen sei. Bild hat sich also nichts vorzuwerfen.

Die Vorwürfe aus Sachsen wird ohnehin bald der Presserat übernehmen. Ihm liegen mehrere Beschwerden wegen der Sebnitz-Berichterstattung vor: gegen die der Bild-Zeitung, aber auch gegen die der taz.

Unabhängig davon, wie dort entschieden wird, ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass es überhaupt eine rechtliche Grundlage gibt, die es dem Freistaat Sachsen oder der Stadt Sebnitz erlaubt, Klage gegen den Axel Springer Verlag zu erheben. Für „absurd“ hält auch Hubert Engerhoff, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Journalisten Verbandes, das Ansinnen der sächsischen Landesregierung: „Grundlage für einen solchen Schadenersatzanspruch ist, dass jemand in seinen eigenen persönlichen Rechten verletzt wird.“ Abgesehen davon dürfte es Stadt und Land nur sehr schwer gelingen, tatsächlichen finanziellen Schaden nachzuweisen.

Ablenkungsmanöver

Sitzen im sächsischen Justizministerium nur Dilettanten? Oder ist all das Gerede von „Verklagen“ und „finanzieller Entschädigung“ möglicherweise nur Säbelgerassel, um von der eigenen Verantwortung abzulenken? Egal, ob die sächsische Landesregierung tatsächlich auf eine Klagemöglichkeit spekuliert, hilfreich bei der Aufarbeitung des Falles Sebnitz ist ihr Vorgehen sicherlich nicht.

Was nicht heißen soll, dass die Medien keine Fehler gemacht hätten – im Gegenteil: Die Schlagzeilen der meisten Blätter beweisen klar das Gegenteil (s. Kasten). Doch die Versäumnisse auf Seiten der sächsischen Justiz und der Politik sind auch nicht bestreitbar. Nur wenn beide Seiten dies eingestehen – und davon ist weder bei Bild noch in Sachsen etwas zu spüren –, könnte man dem „Fall“ wirklich auf die Spur kommen.