Frontlinien laufen kreuz und quer

Europas Konservative lehnen die Ergebnisse von Nizza doch nicht ab und diskutieren neue Grundsätze

BERLIN taz ■ Manche Stellungnahmen klangen wie bei einem Parteitag europäischer Sozialisten: Der Globalisierung müsse ein Chauffeur gegeben werden, forderte etwa ein niederländischer Delegierter. Tatsächlich war wohl der Versuch, eine „Antwort zu geben auf die Bedenken der Demonstranten in Prag und Seattle“, der eigentliche Anlass für eine Neufassung des Grundsatzdokuments des konservativen Parteienverbunds „Europäische Volkspartei“ (EVP), die bei ihrem Kongress in Berlin diskutiert wurde, der am Freitag zu Ende ging.

Die EVP ist eben nicht einfach eine CDU im vergrößerten Maßstab, auch wenn die 53 Deutschen die einflussreichste Gruppe in der 233 Mitglieder zählenden Fraktion des Europaparlaments bilden. 42 Parteien nicht nur aus den 15 Mitgliedstaaten, sondern auch aus den Beitrittsländern bilden die EVP. Die Frontlinien laufen kreuz und quer, die Debatte über das Kongressdokument machte dies nur allzu deutlich. So war etwa die Mehrheit für die „Anerkennung“ von neuen Familienformen. Gleich drei Italiener wiesen aber darauf hin, dass erstmals in der EVP-Geschichte die Ehe nicht mehr erwähnt wird.

Zum Thema Beschäftigungspolitik hatte die ursprüngliche Formulierung gelautet: „Dauerhafte echte Arbeitsplätze können nicht vom Staat geschaffen werden.“ Dies war bei der Arbeitnehmerorganisation CDA-EVP auf Ablehnung gestoßen. „Arbeitsplätze können nicht vom Staat alleine geschaffen werden“, müsse es heißen. Dass dies eigentlich genau das Gegenteil war, fiel nur wenigen auf. Um alle zufrieden zu stellen, einigte man sich schließlich auf: „Die meisten dauerhaften echten Arbeitsplätze können nicht vom Staat allein geschaffen werden.“ So wird europäische Politik gemacht. Und hier sind dann auch die nationalen Frontlinien noch nicht überwunden. Dies wurde vor allem bei der Resolution zum EU-Gipfel von Nizza deutlich. Allein die Franzosen wollten die eindeutige Verurteilung der Ergebnisse nicht mittragen. Nicht nur einem Schweizer Delegierten war klar: „Die schützen Staatspräsident Chirac.“ Dieser hatte die Verhandlungen in Nizza geleitet.

Während das Werte-Dokument in Arbeitsgruppen öffentlich diskutiert worden war, entstand die Nizza-Resolution hinter den Kulissen. Sollte die EVP ihrer Fraktion die Ablehnung des Vertrags empfehlen? Auch hier gab es schließlich einen Kompromiss: „Eine endgültige Bewertung des Vertrags sollte konkrete Fortschritte vor der Ratifizierung und im Nach-Nizza-Prozess .(...) berücksichtigen.“ Als sicher gilt nun: Um die Osterweiterung der EU nicht zu verzögern, wird die EVP dem Vertrag zustimmen.

So konzentrieren sich Europas Konservative nun ganz auf die Zukunft. Bereits der Gipfel in Belgien Ende 2001 soll klare Beschlüsse über die Einrichtung eines „Konvents“ bringen, der gemeinsam mit Vertretern der nationalen Parlamente und der Nichtregierungsorganisationen bis 2004 einen „europäischen Verfassungsvertrag“ erarbeitet. Die Richtung, in die es geht, haben die Konservativen in Berlin mit einer Statutenänderung deutlich gemacht: Ziel sind nicht mehr nur die „Vereinigten Staaten von Europa“, angestrebt wird nun eine „föderale Europäische Union“. SABINE HERRE