Deutschland, schwarze Katze

Noch zweimal in der Fabrik: Das Stück „7 Leben“ der Gruppe Hajusom!  ■ Von Anette Kretzer

Tameem ist nervös. Er sitzt im Publikum und wartet auf den Auftritt seines Freundes Wahley, der in der Premiere von 7 Leben mitspielen wird. Zusammen mit seiner Lehrerin ist er gekommen, der aus dem Heim. Einen Blumenstrauß hat er mitgebracht.

Während die ZuschauerInnen Platz nehmen, haben sich die AkteurInnen bereits im Bühnenraum aufgestellt und verharren, bis ein Mikrophon vor ihnen kreist, in das sie PolitikerInnen-Statements sprechen: „Die Zeit der Gastfreundschaft geht zu Ende.“ Als schließlich Schönbohm, Streibl, Merkel und Co. die Ohren klingen müssen, kracht HipHop aus den Lautsprechern, und die DarstellerInnen fangen an zu tanzen. Das 18-köpfige Ensemble besteht aus Jugendlichen, die aus westafrikanischen Ländern, aus Äthiopien, dem Iran und Afghanistan in die BRD geflohen sind. Seit 1999 gibt es das Theaterprojekt Hajusom!, 7 Leben ist die aktuelle Produktion. Nicht nur die Besetzung ist – durch Abschiebungen oder Weiterfliehen – einem ständigen Wechsel unterzogen, auch das Stück selbst wird stetig modifiziert.

Die Ausdruckskraft, mit der die DarstellerInnen ihre Ängste, Träume und ihre Wut präsentieren, offenbart dem Publikum unmittelbar das Work-in-Progress-Konzept. Die dramaturgische Logik ist getragen von rasanten szenischen Wechseln, in denen dynamische Tanzeinlagen in kontemplative Momente münden, die selbstbewusst ins Rührselige übergreifen, dabei jedoch immer wieder in offensive Konfrontation umzuschlagen wissen.

Das Stück verfolgt sieben Lebensgeschichten innerhalb der Stationen „Heimat“, „Flucht“ und „Deutschland“. In der Interaktion sind sich die AkteurInnen unterstützendes Ornament und situative Unterbrechung zugleich. Wenn Alhaji von Sierra Leone erzählt, von schönen Hügeln und dem Krieg, wenn Baquira zeigt, wie Frauen in Angola Wassereimer auf ihren Köpfen tragen oder wenn Meshgan ruft, dass die Taliban in Afghanistan Frauen hassen, wird das Gesagte übersetzt oder sich ins Wort gefallen, dazu getrommelt, getanzt oder gestritten. Savadogo besingt als blauer Vogel das Nahen der Jäger, und afrikanische Erntesänger konterkarieren Winnies „Amerika ist super“.

Dabei versteht es 7 Leben, einer Auffassung entgegenzutreten, die – zugunsten antirassistischer Homogenitätswünsche – kitschig oder zweifelhaft anmutende Lebensäußerungen gerne übersehen will. Zwangsläufig runzelt sich verdutzt die eine oder andere Stirn, wenn Hamed das Publikum wissen lässt, das Töten des Freundes sei zur Verteidigung der Schwester angebracht. Und Augen werden feucht und Köpfe senken sich beschämt, als zu Ehren von Victoria eine Tonbandaufnahme abgespielt wird, auf der sie „We are the world“ singt. Razak Amadou, der als einziger der Gruppe einen sicheren Aufenthaltsstatus besitzt, erinnert an die ehemalige Mitstreiterin, die während der Proben verschwunden ist, niemand weiß, wohin.

In Ismaels Geschichte haben die Knochen einer schwarzen Katze seinem Freund den Weg nach Deutschland gezeigt. Schwarze Katze, 7 Leben, 7 Mal Deutschland. Und Deutschland ist: Big-Brother-Container als Erstaufnahmeeinrichtung, die Plastikstühle der Ausländerbehörde, rassistische Hunde und Großstadt-Reiseführer, die „Farbigen“ empfehlen, bestimmte S-Bahnstationen zu meiden.

Nach der Aufführung freuen sich die Regisseurinnen Ella Huck und Dorothea Reinicke mit dem Ensemble über den großen Erfolg. Die einzigartige Qualität der Hajusom!-Produktionen haben nun wohl auch bundesweit einschlägige Bühnen bemerkt. Nachdem das Projekt mit verschiedenen Stücken bisher nur in Hamburg und NRW zu sehen war, könnte es sein, dass Hajusom! bald auch in Berlin, Bremen, Münster und Frankfurt spielen wird.

Tameem hat es jedenfalls auch sehr gut gefallen – Wahly bekommt den Blumenstrauß. Wer noch in Hamburg 7 Leben erleben will, sollte die letzten Aufführungen auf keinen Fall verpassen.

heute, 20 Uhr und morgen, 11 Uhr + 20 Uhr, Fabrik