Leibesübungen am Tastenbarren

■ Das dacapo-Festival „piano adventures“ bot den wenigen Besuchern große Konzerte

Hoffentlich ist der dürftige BesucherInnenandrang beim Klavierfestival „piano adventures“ kein böses Omen für die weitere Exis-tenz des Veranstalters dacapo und hoffentlich auch kein Anzeichen dafür, dass das ehemals treue dacapo-Publikum sich inzwischen verflüchtigt hat.

Denn der zum Teil katastrophale Besuch im Schauspielhaus und in der Kunsthalle stand im schmerzlichen Missverhältnis zum unbestreitbar großen Ideenreichtum des Festivals. Drei Tage lang hatte Ingo Ahmels von dacapo mit neun PianistInnen in zehn Konzerten die ganze Bandbreite zeitgenössischen Klavierspiels zusammengefasst: von der Klassik (Juan-Jose Chuquisengo) bis zum Jazz (Simon Nabatov) und notierter zeitgenössischer Musik (Herbert Henck und Reinier van Houdt), von der Performance (Tomoka Mukaiyama) bis zum Toy-Piano (Margaret Leng-Tan) und vieles mehr.

Den Abschluss machten nun am Sonntag der peruanische Pianist Juan-Jose Chuquisengo, der nicht so richtig in die Gänge zu kommen schien. Er hatte sich den Fuß gebrochen, und ich hatte doch den Eindruck, dass diese Verletzung nicht ohne Einfluss auf sein Spiel blieb. Er wirkte unsicher und merkwürdig uninspiriert.

Die „Prole do Bebé“ des Brasilianers Heitor Villa-Lobos erwiesen sich als ausufernde und recht leere Klangkaskaden, die auf die erste Klaviersonate von Alban Berg noch regelrecht nachzuwirken schienen. Hier allerdings zeigte Chuquisengo formale Klarheit und farbenreichen Anschlag. Die vierte Partita in D-Dur von Johann Sebastian Bach perlte zwar wunderschön und atmosphärisch dicht ab, erwies sich so aber dennoch nicht als ein notwendiger Beitrag zur Bach-Exegese. Aber die abschließende viersätzige Sonata aus dem Jahr 1953 des Argentiniers Alberto Ginastera gelang Chuquisengo wahrlich brillant in ihrer Verquickung von lateinamerikanischen Rhythmen und neuen europäischen Klaviertechniken.

Ein hinreißendes Finale war natürlich der Auftritt von Misha Alperin, der das Festival mit seiner urigen Kunst bereits sehr schwungvoll eröffnet hatte. Der Moldavier, der heute in Norwegen lebt, spielt Klavier, so wie es ihm in den Sinn kommt: Da grunzt, summt und schnaubt er die Melodien mit, da recken sich seine Knie an der Tastatur vorbei auch schon mal wie in einer Gymnastikvorführung in die Höhe, da fuchtelt er ungeduldig mit der linken Hand, da trampelt er wie auf imaginären Orgelpedalen herum oder lässt auch schon mal einen Ton mit einem senkrecht von oben herunterschießenden Finger erklingen. Stets ist sein ganzer Körper Musik, in diesem Falle: „Acht Geschichten für Klavier solo“. Diese Musik ist eine Mischung aus Minimalismus, Debussyismus, meditativ-verklärten Klängen, manchmal auch brachial akkordischer Motorik und natürlich immer wieder „seiner“ Folklore und lebt ausschließlich von der performance-artigen Vorführungskunst ihres Erfinders.

Unterm Strich: Es ist ein Riesenspaß, Misha Alperin zuzuhören. Allerdings kann man dem Veranstlter einen Vorwurf nicht ersparen, der ebenso auf das kürzlich beendete Radio-Bremen-Festival zutrifft: Den ZuhörerInnen wurden leider keinerlei Informationen über die MusikerInnen und ihre Musik gegeben. Ute Schalz-Laurenze