Nackte Tatsachen vor Gericht

Zwei Kriegsgegner, die 1999 beim Bundeswehrgelöbnis im Bendlerblock nackt über den Platz flitzten, stehen wegen Verstoß gegen das Versammlungsrecht vor Gericht. Verteidiger bezweifeln, dass die Feier überhaupt eine öffentliche Versammlung war

von WIBKE BERGEMANN

Angezogen sehen sie aus, wie zwei nette junge Leute von nebenan. Dabei wurden die Angeklagten eher als dürftig Bekleidete bekannt, als sie am 20. Juli 1999 zusammen mit insgesamt fast 20 Kriegsgegnern an der Protestaktion gegen die öffentlich Vereidigung von Soldaten am Bendlerblock teilnahmen.

Seit gestern müssen sich die Gelöbnisstörer vor dem Berliner Amtsgericht verantworten. Ihnen wird vorgeworfen, gegen das Versammlungsrecht verstoßen zu haben. Die Flitzer hatten Strafbefehle von bis zu 90 Tagessätzen erhalten, gegen die sie jedoch Widerspruch einlegten.

Den Kriegsgegnern war gelungen, trotz strenger Kontrollen in den abgesicherten Bereich mit ausgewähltem Publikum zu gelangen. Während der Zeremonie rannten sie – teils nur in Unterhose und mit roter Farbe beschmiert – über den Platz. Einige trugen Regenschirme, auf denen „Tucholsky hat Recht“ oder „Bundeswehr abschaffen“ stand. Andere lärmten mit Trillerpfeifen.

Der 24-jährigen Katja J. wird nun vorgeworfen eine öffentliche Versammlung gestört zu haben und damit gegen das Versammlungsrecht verstoßen zu haben. Der 25-jährige Thomas J. soll zudem Soldaten, die ihn vom Platz entfernen wollten, tätlich angegriffen haben.

Die Verteidigung geht jedoch davon aus, dass es sich bei dem Gelöbnis um eine Staatsveranstaltung handelt, die vom Verteidigungsministerium organisiert wird. Die Zeremonie habe weder den Zweck, eine Meinung zu äußern, noch sei sie ordnungsbehördlich angemeldet worden. Somit falle die Veranstaltung auch nicht unter den Schutz der verfassungsrechtlichen Versammlungsfreiheit, so die Argumentation der Verteidigung.

Wolf-Dieter Narr, Politologe der Freien Universität, bezeichnete die Anklage als einen „verfassungsrechtlichen Skandal: Hier wird das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, das den Bürgern vor dem Staat schützen soll, einfach umgedreht“, so Narr.

Regina Götz, Anwältin der Beklagten, beantragte die Vorladung eines Beamten des Landeskriminalamtes. Der solle bestätigen, dass die Versammlung nicht – wie etwa bei Demonstrationen notwendig – behördlich angemeldet wurde.

Wichtiger als eine schnelle Entscheidung über diesen Antrag der Verteidigung war der Richterin jedoch die Sorge um die Zeugen der Anklage. Denn ein Soldat war trotz Ladung der Staatsanwaltschaft nicht erschienen. Gegen ihn verhängte sie ein Ordnungsgeld.

Die Aussagen der übrigen Soldaten sprachen eher für die Angeklagten. Keiner der damals eingesetzten Feldjäger konnte vor Gericht bestätigen, dass Thomas J. bei seiner Festnahme Widerstand geleistet habe oder sogar die ihn abführenden Soldaten angegriffen habe. Zudem betonten alle Soldaten, die in grauer Uniform im Zeugenstand erschienen waren, dass durch die Aktion das Gelöbnis zwar gestört wurde, aber keinefalls so stark, dass die Veranstaltung hätte unterbrochen werden müssen.

Ein Urteil mochte die Richterin gestern nicht sprechen. Erst müsse der verloren gegangene Zeuge der Anklage wieder gefunden werden. Der Prozess wird am kommenden Dienstag fortgesetzt.