Die Macht der langen Messer

In Deutschland wird bei BSE-Fällen weiter die ganze Herde gekeult. Die neue Ministerin Renate Künast sträubt sich gegen die Massenschlachtungen. Doch die Alternativen zum EU-Programm sind teuer

BERLIN taz ■ Die Skrupel sind der Ministerin anzumerken, aber der Markt hat seine eigene Logik. 400.000 Rinder in Deutschland zu schlachten und sie zu verbrennen, nur um den Preis für Rindfleisch zu stabilisieren, das werfe erhebliche „ethische Probleme“ auf, sagte gestern die neue Ministerin für Verbraucherschutz und Landwirtschaft, Renate Künast. Ablehnen will sie den Plan der EU-Kommission zur Marktstützung für Rindfleisch aber auch nicht. Es fehlt eine wirkliche Alternative.

Denkbar wären zwei Wege, sagte Künast, wenn man das Fleisch nicht vernichten wolle. Entweder die Deutschen drängten auf eine Änderung des EU-Rechts oder man schlachte die Tiere, teste sie auf BSE und lagere sie dann ein. Nach etwa einem Jahr könnte das Fleisch dann exportiert werden. Diesen Ausweg aus dem Dilemma hatten am Wochenende der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Michael Glos, und die SPD-Fraktionsvorsitzenden in Bayern und im Saarland gefordert. Auch von den Natur- und Umweltschützern kam gestern Kritik am EU-Programm „Aufkaufen und Vernichten“, mit dem europaweit bis zu zwei Millionen Rinder über 30 Monate vom Markt gekauft und verbrannt werden sollen. Die Tötung sei zwar richtig, sagte der EU-Abgeordnete und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Graefe zu Baringdorf. Doch das getestete Fleisch solle zur Hilfe in Hungergebieten genutzt werden.

Eine Entscheidung über das umstrittene Programm machten Künast und Bundeskanzler Schröder von weiteren Beratungen mit Experten abhängig, die Künast „ergebnisoffen“ angehen will. Doch alles läuft auf eine Lösung zu, wie sie die EU vorschlägt. Künast wies darauf hin, dass man den Export des Fleisches mit „extremer Vorsicht“ überdenken müsse. Schließlich könne sie als Verbraucherministerin nicht in einem oder zwei Jahren den Export des umstrittenen Fleisches in andere Regionen der Welt absegnen, wenn es zu Hause nicht mehr gewollt werde. Diese „höchst komplizierte Idee“ birgt noch ein weiteres Problem: Nach bisherigen Planungen wird das EU-Programm die EU 1,9 Milliarden Mark und die Bundesregierung 362 Millionen kosten. Wer das Geld für eine teure Lagerung und Kühlung aufbringen soll, ist nicht geklärt.

Einen Kurswechsel lehnte Künast auch bei den deutschen Massenschlachtungen ab. Sie sehe sich „nicht in der Lage, von den Bestandstötungen abzugehen“, erklärte sie. Denn es gebe von den Ländern den Druck, zu einer bundeseinheitlichen Regelung zu kommen, und sie werde dem Bundesrat am 16. Februar eine Beschlussvorlage präsentieren.

Doch die Front der Länder, die wie das rot-grüne NRW weiterhin die Massenkeulung fordern, bröckelt langsam ab. Bisher lässt nur Bayern zu, dass bei einem BSE-Fall nicht die gesamte Herde auf dem betroffenen Hof geschlachtet und verbrannt wird. Unterstützung für diesen bayerischen Sonderweg hatte aber bereits Thüringen signalisiert. Gestern erklärten nun auch die SPD-Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz und Brandenburg, Beck und Stolpe, man solle das „Schweizer Modell“ berücksichtigen. Demnach würde nicht mehr die gesamte Herde, sondern nur die „Kohorte“ des betroffenen Tieres „gekeult“, also Tiere, die jeweils ein Jahr jünger, gleich alt oder ein Jahr älter sind.

Bei den Schweizer Untersuchungen, heißt es aus Bayern, habe sich gezeigt, dass in mehr als 90 Prozent der Fälle immer nur ein Rind an BSE erkrankte, auch wenn die anderen vom gleichen Futter gefressen hatten. Laut Seuchengesetz muss bei einer Seuche wegen der Infektionsgefahr bisher der gesamte Bestand getötet werden. Nur: Ist BSE eine Seuche? Eine Übertragung von einem Tier aufs andere ist nämlich bisher nicht nachgewiesen. BERNHARD PÖTTER