Späte Reue hilft nur wenig

Deutschland will nach bisheriger Planung nur 12 Prozent der gesamten Landwirtschaftsausgaben für die Entwicklung des ländlichen Raums einsetzen

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Wenn Agrarkommissar Franz Fischler übermorgen auf der Grünen Woche in Berlin spricht, werden die deutschen Agrarpolitiker ein paar unliebsame Wahrheiten zu hören bekommen. Denn die Staatschefs hätten bei ihrem Gipfeltreffen im März 1999 nur den Entwurf der EU-Kommission zur Agenda 2000 aufzugreifen brauchen, dann wäre die nun geforderte Wende in der Agrarpolitik schon eingeleitet. Aber die Quoten- und Prämienfraktion behielt ein weiteres Mal die Oberhand – unterstützt vom Bundeskanzler, dem sein Minister Funke und die deutsche Bauernlobby im Nacken saßen.

Angesichts des BSE-GAUs in der Ernährungswirtschaft hilft späte Reue wenig. Die EU-Finanzplanung liegt bis 2006 fest, 40 Milliarden Euro jährlich – das ist der halbe EU-Haushalt – sorgen dafür, dass das Höfesterben weitergeht und die industrialisierte Landwirtschaft gefördert wird. In Deutschland kassieren derzeit 1,2 Prozent der Betriebe 29 Prozent der Direktzahlungen, beschäftigen aber nur 16 Prozent der Arbeitskräfte.

Das Ergebnis des Agenda-2000-Gipfels von Berlin spiegelt die widersprüchlichen Erwartungen wider, die seitens der Politiker an die Landwirtschaft gestellt werden. Die Bauern sollen einerseits auf dem Weltmarkt konkurieren können und den Regeln der Welthandelsorganisation gerecht werden. Andererseits sollen sie aber die europäische Kulturlandschaft erhalten und Arbeitskräfte binden, die in der harten Leistungsgesellschaft keinen anderen Platz finden können.

Der kritische Agrarbericht, den ein Think-Tank um den grünen EU-Abgeordneten Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf zur Grünen Woche in Berlin vorlegt, warnt davor, in diesem Dilemma stecken zu bleiben. Für die Agenda 2007 fordert er einen konsequenten Politikwechsel hin zur sozialen und ökologischen Neuorientierung der Landwirtschaft.

Allerdings bietet die Agenda 2000 Spielräume, die gerade von Deutschland, das sich im EU-Vergleich für besonders ökologisch hält, kaum genutzt werden. Derzeit rechnen die zuständigen Fachleute im Landwirtschaftsministerium fieberhaft, um der neuen Chefin, Renate Künast, eine Übersicht über die Finanzmittel zu geben, die in umweltverträglichen Landbau umgeleitet werden könnten. Für Ende der Woche kündigte ein Ministeriumssprecher Zahlen an.

Tatsächlich verstecken sich die Steuerungsinstrumente in mehreren Haushaltsposten. Gesondert ausgewiesen werden nur die Mittel für die Entwicklung des ländlichen Raums: 4,3 Milliarden Euro stellt die EU dafür jährlich bereit. Dieses Geld kann jedes Mitgliedsland nach eigenen Vorstellungen einsetzen. Deutschland gibt zwei Drittel seines Anteils von jährlich 700 Millionen Euro für Flurbereinigung, Dorferneuerung und ähnliche Maßnahmen aus. Ein Drittel fließt in den Umweltschutz.

Im Ländervergleich steht Deutschland auch in diesem Bereich schlecht da. Da die von Brüssel geförderten Maßnahmen von den Ländern mitfinanziert werden müssen, gibt ein Blick in die nationalen Budgets Aufschluss: Österreich und Finnland haben im kommenden Haushaltsjahr 50 Prozent ihres Agrarhaushalts für den ländlichen Raum eingeplant, Deutschland dagegen will nach bisheriger Planung nur 12 Prozent der gesamten Landwirtschaftsausgaben dafür einsetzen. Sollte die grüne Ministerin Künast hier Änderungen planen, sind Bauernproteste vorprogrammiert.

Noch konfliktträchtiger sind allerdings die beiden anderen Instrumente, die in der Agenda 2000 vorgesehen sind. Zum einen haben die Mitgliedsländer die Möglichkeit, EU-Gelder aus dem großen Topf der Prämien und Ausgleichszahlungen zu stoppen, wenn ein Betrieb vorher festgelegte Umweltauflagen nicht erfüllt. Nach Recherchen des World Wide Fund for Nature (WWF) machen davon bislang nur 7 der 15 EU-Staaten Gebrauch, Deutschland ist nicht darunter.

Auch die Möglichkeit der so genannten Modulation nutzt Deutschland nicht. In der Agenda 2000 wird den Mitgliedsländern freigestellt, bis zu 20 Prozent der Prämien und Ausgleichszahlungen von großen Betrieben einzubehalten, die wenig Arbeitskräfte beschäftigen und hohe Fördermittel erhalten.

Diese Möglichkeit wird derzeit von Frankreich intensiv genutzt. Nach Berechnungen des grünen EU-Parlamentariers Graefe zu Baringdorf könnte Deutschland jährlich 500 Millionen Euro aus den Agrarfabriken abschöpfen und in umweltfreundliche Kleinbetriebe mit hoher Beschäftigungsquote umleiten, wenn es dem französischen Beispiel folgen würde.

Der politische Sprengstoff, der in diesem Plan liegt, darf allerdings nicht unterschätzt werden. Vor allem die landwirtschaftlichen Großbetriebe in der ehemaligen DDR würden weniger Geld aus Brüssel erhalten. Sie produzieren Lebensmittel unter industriellen Bedingungen. Gleichzeitig aber sind sie in den neuen Ländern der größte Arbeitgeber im ländlichen Raum.

Sollte die neue deutsche Landwirtschaftsministerin hier den politischen Hebel für einen Richtungswechsel ansetzen, wird sie es sich nicht nur mit der Bauernlobby verscherzen. Sie wird dann die Verantwortung für weiter steigende Arbeitslosigkeit im Osten übernehmen müssen.