Ein kurzes Streicheln

■ Der Oldenburger Kunstverein und das Edith-Ruß-Haus erinnern an die spektakulären frühen Performances der Wiener Künstlerin Valie Export und zeigen Foto-, Video- und Filmarbeiten, meist aus den 70er Jahren

1968 schnallte sich Valie Export einen Kasten vor die nackte Brust und stellte sich zusammen mit dem agitatorisch-plärrenden Peter Weibel (der mittlerweile als Chef der Karlsruher Medienkunsthochburg ZKM brav geworden ist) in die Fußgängerzone. Durch dieses „Tapp- und Tastkino“ durften x-beliebige PassantInnen 20 Sekunden lang den Busen der Künstlerin begrapschen. Die dabei entstandenen Foto- und Filmdokumente von hilflos grinsenden Männern wurden für ganze Generationen junger Frauen bedeutsam als wunderbar-relaxte Verhöhnung vom viel beschworenen männlichen Sexismus. Erst später begriffen wir, dass Valie Exports Verständnis von Feminismus ein ganz anderes, klügeres ist (siehe Interview).

Wie kaum ein/e andere/r Künstler/in riss sie die Grenze zwischen Kunst und Theorie nieder: denken erlaubt. Sie flankierte ihre Aktionen durch Texte, die souverän alles von Hegel, Heidegger, Freud, Lacan bis zu Virginia Woolf und Gertrude Stein miteinander verwirbelten. Andererseits betrachtet sie Kunst als Fortsetzung wissenschaftlicher Recherche mit anderen Mitteln, was sich in wissenschaftlichen Titeln niederschlägt: Die aktuelle Oldenburger Ausstellung etwa heißt „Metanoia – oder eine andere Sicht der Dinge“.

Die Benachteiligung von Frauen in Politik, Wirtschaft, Bildung interessierten sie weniger. Es ging um die Ursachen hinter diesen Symptomen, um die Konstruktion des weiblichen Körpers durch den männlichen Blick. In dem zu Kultstatus gelangten Essay „Das reale und sein Double: der Körper“ erklärte sie „dass es den natürlichen Körper der Frau nicht gibt.“ Deshalb hegte sie auch große Skepsis gegenüber jenen Vertretern des Wiener Aktionismus, die sich einbildeten, mit ein paar nackten Frauen und Rinderblut die gesellschaftlichen Codes hinter sich lassen zu können. Eher vermutete Valie Export darin eine Bestätigung des bürgerlichen Frauenbilds. Mit diesem Frauenbild macht sie das, was man später „dekonstruieren“ nennen sollte. Zum Zwecke der Befreiung von Zwangsidentitäten gab sie sich auch einen Kunstnamen: „Ich wollte nicht den Namen meines Vaters tragen, sondern meinen eigenen suchen.“ Auch in der berühmten Fotoreihe „Körperfigurationen“ sucht sie, und zwar nach neuen „inneren Zuständen“ und lässt sich dabei durch die architektonischen Strukturen von Straßenecken, Abfallhaufen, Bäumen etc inspirieren: lernen durch Einfühlung. Und dann immer wieder die Suche nach der neuen ungeahnten Wahrnehmung – in Spiegelbildern, verschwommenen Bildern...

taz: In Ihren frühen Arbeiten standen die Zurichtungen des weiblichen Körpers im Zentrum. Später in den 70ern ging es um weibliche, männliche, menschliche Körperkonstruktionen. Eigentlich könnten Sie stolz darauf sein, die gender studies vorweggenommen zu haben?

Valie Export: Das stimmt nicht, naja, für den europäischen Raum vielleicht schon, aber in Amerika gibt es das seit den frühen 70er Jahren, auch wenn man es vielleicht noch anders nannte. Die Beschäftigung speziell mit dem weiblichen Körper geht aber bei mir weiter, ein work in progress, auch wenn es nicht mehr so oft der eigene ist. Zum Beispiel die Arbeiten zum Thema Beschneidungen.

Diese Diabilder von verwachsenen und zugenähten Vaginas und die Stimmen von den betroffenen Frauen, aber auch von ihren nicht weniger geschundenen Ehemännern, tun richtig weh. Früher fügten Sie nicht nur dem Betrachter, sondern bevorzugt sich selbst Schmerz zu, übergossen die Hände mit heißem Wachs, bis sie am Boden festklebten, schnitten sich die Fingernägel blutig, wälzten sich durch Glasscherben.

Mit Performances habe ich längst aufgehört und arbeite medial mit Fotos, Videos... Aber auch heute noch steckt für mich im Schmerz ein großes emanzipatorisches Potential. Zu sehen etwa im Edith-Ruß-Haus in „Der Schrei“. Da habe ich meine Stimmritze aufgenommen. Das ist zwar nicht grausam schmerzhaft, aber es tut schon weh; vor allem auch die Tatsache, dass man dabei nicht reden kann, nur sinnlose Laute produziert.

Ist Schmerz auch im wirklichen Leben befreiend?

Klar ist Schmerz eines der elementarsten Dinge, psychischer wie physischer. Ich zitiere Kafka: ,Das einzig Reale ist der Schmerz.' Und manchmal gelangt man dadurch zu einer Erlösung.

Nach so einem Wort jetzt lieber eine triviale Frage: Damals beim Tastkino, war das scherzhaft-eklig betatscht zu werden.

Nein. Es ging nicht um begrapschen und es wurde auch nicht gegrapscht. Die Männer und Frauen haben immer nur überprüft, ob ich wirklich nichts anhabe. Ein kurzes Streicheln. Aber es gab eine große Spannung zwischen ihnen und mir, das sieht man auch auf den Fotos. Es ging um die Blicke; auch darum, dass sie beim Tasten beobachtet werden. Da sind Verkäufer herausgekommen aus den Geschäften. Und als der Chef hinterherkam, haben sie sich nicht mehr getraut.

Sie sagten damals, dass das Tastkino sogar emanzipatorisch sei, und zwar durch die Verweigerung des Bildes vom Busen...

... und dass es der erste echte Frauenfilm ist.

Bei vielen alten und neuen Arbeiten schnappt man immer noch nach Luft. Sie widerlegen also das Gerücht, dass Provokationen oder Zumutungen in der Kunst nicht mehr möglich seien. Ihre Stellung im Kunstmarkt hat sich doch beträchtlich geändert. In den 60ern soll eine ihrer Performances zu einer Saalschlacht geführt haben, daraufhin wurden andere verboten, ein Strafverfahren gab es auch. Schon 1980 vertraten sie Österreich in Venedig auf der Biennale, avancierten quasi zur Staatskünstlerin. Überwiegt Freude oder Bedauern über die veränderte Rolle?

Weder noch. Aber irgendwie freut es doch, dass die Arbeit, die man über viele Jahre zusammen mit vielen Weggefährten gemacht hat, anerkannt wird als Kunst und nicht nur als Ärgernis. Es freut schon, dass man in Österreich nicht nur fantastischen Realismus oder Ähnliches akzeptiert.

Was ein Haider ja wieder ändern möchte.

Deshalb bin ich bei den Demonstrationen in Wien auch feste mitmarschiert.

Text und Fragen: bk

Bis 25. Februar 2001 im Oldenburger Kunstverein, Damm 2a (Öffz.: Di-Fr 14-17, Sa+So 11-17 Uhr), und im Edith-Ruß-Haus für Medienkunst, Katharinenstraße 23 (Öffz.: Di-Fr 14-17, Sa+So 11-17 Uhr)