Grün leuchtet der Blitz

DAS SCHLAGLOCH von KERSTIN DECKER

Ein neuer Kulturstaatsminister, ein neuer Affe und die Mondfinsternis: Alles hängt zusammen

Am letzten Dienstag hatten wir eine Mondfinsternis, am Mittwoch einen neuen Kulturstaatsminister und am Donnerstag einen neuen Affen. Einen Affen mit dem Gen einer Qualle!

Julian Nida-Rümelin, unser neuer Kulturstaatsminister, hat seine Habilitation zur „Kritik des Konsequenzialismus“ geschrieben. Konsequenzialismus, ahnen wir, ist die Lehre davon, was alles aus allem hervorgehen kann. Mond. Kulturstaatsminister. Quallenaffe. Seit letzter Woche begreifen wir das Thema besser. Mit dem ersten transgenen Affen der Welt verhält es sich so: Er sieht noch gar nicht aus wie eine Qualle. Wir müssen erst warten, bis er in die Pubertät kommt, dann soll Andi anfangen, grün zu leuchten. Die Wissenschaftler sagen, es handele sich bei grün leuchtenden Quallen-Affen um einen unvorstellbaren Durchbruch. Irgendwie haben die Wissenschaftler Recht. Ob Botho Strauß auch von dem transgenen Affen gelesen hat?

„Die grenzüberschreitenden Experimente der Gentechnologie wurden nur so lange für verwerflich gehalten, bis ihnen der entscheidende Vorstoß ins Machbare gelang. Ist die Chimäre einmal an den Tag gebracht, fürchtet man sie nicht mehr“, hatte er uns kurz vor Weihnachten in einem offenen Hirtenbrief der Zeit geschrieben. Humbug!, würde Julian Nida-Rümelin jetzt wohl sagen. Denn Nida-Rümelin ist analytischer Philosoph. Analytische Philosophen halten auch Nietzsche für Humbug. Nietzsche, sagte Julian Nida-Rümelin, war gar kein Philosoph. Er hatte null philosophische Begabung. In den philosophischen Regalen der Buchhandlungen findet man Nida-Rümelin direkt neben Nietzsche.

„N-i-d“ und „N-i-e“. Klarer Fall von Unterlegenheit. Mike Tyson, der Boxer, der mal seine Frau verprügelt hat, kennt Julian Nida-Rümelin nicht. Aber Nietzsche! Er findet ihn „pretty cool“ und kein bisschen philosophisch unbegabt. Das unterscheidet Mike Tyson von Julian Nida-Rümelin, obwohl keiner Mike Tyson zum Kulturstaatsminister ernennen würde. Wer hat am Ende Recht? Und was hält Tyson von Botho Strauß?

Unter philosophischer Begabung, sagte der neue Kulturstaatsminister und Philosophieprofessor, verstehe er das „Bemühen um gedankliche Klarheit und argumentative Sorgfalt“. Schauen wir uns daraufhin mal den neuen Botho-Strauß-Essay an: „Wollt ihr das totale Engineering?“ – (auf Augenhöhe des Tages gedacht, hieße das: Wollt ihr grün leuchtende Affenquallen?) – „Kein Demagoge, kein Potentat, der so fragen könnte, auch das Volk sich selber nicht. Nur Gottes eigener Donner könnte es brüllen.“ Gottes eigener Donner? Ist das ein seriöser Teilnehmer des Diskurses?

Oder denken wir an Strauß’ Definition der Gegenwart: „Wir erleben jetzt die Stunde, die niemals kommt ... Früher war, was der Fall ist. Heute ist, was wird.“ Jawohl, wir müssen fürchten, dass unser neuer Kulturstaatsminister zu Botho Strauß dasselbe sagen würde wie zu Nietzsche: Sie haben null philosophisches Talent!

Es ist sehr wichtig für ein Land, seinen Kulturstaatsminister zu verstehen. Für die Kultur auch. Viele haben sich darüber erregt, was Nida-Rümelin dem Tagesspiegel über die Würde des Menschen gesagt hat. Dass die Rede von menschlicher Würde nur Sinn habe, wenn das Subjekt in seiner Selbstachtung beschädigt werden könne. Die Würde wäre somit gebunden an Selbstreflexivität. Was ist dann mit der Würde von Kleinkindern, Betrunkenen, Schwerbehinderten und Schlafwandlern?

Julian Nida-Rümelin blieb unnachgiebig. Wenn Embryonen eine Würde hätten, wäre Abtreibung legalisierter Mord, erwiderte er bündig. Wir müssen also selbst herausfinden, was unser Kulturstaatsminister vom Wert des Lebens hält. Und von grün leuchtenden Affen. Er hat das Kompendium „Angewandte Ethik. Die Bereichsethiken und ihre theoretische Fundierung“ herausgegeben (Kröner Verlag, 98 DM). Natürlich kommt jeder Mensch einmal in das Alter, in dem er unweigerlich aufhört, Bücher mit solchen Titeln zu lesen. Aber es muss sein.

Mike Tyson findet Nietzsche pretty cool, aber Nida-Rümelin hält beide für philosophisch unbegabt

Zu Beginn des Kapitels „Wert des Lebens“ stellt Julian Nida-Rümelin fest, dass die meisten Menschen ihr Leben für „keinen beliebig hohen Geldbetrag hingeben“ würden. Womit nachgewiesen wäre, dass sich der „Wert des Lebens“ nicht an der Börse handeln lässt. Was ist es aber dann für ein Wert? Ein unermesslich hoher, weiß der Philosoph, subjektiv gesehen. Aber dann fallen ihm Raucher, Flaschentaucher, Fundamentalisten und Selbstmörder ein. Lauter logische Widersprüche zur Lebenswertthese. Doch Nida-Rümelin löst sie alle auf, sogar den Selbstmörderwunsch (aus Liebeskummer). Auch ohne einen stark objektivistischen Interessenbegriff, der sich etwa auf die Konzeption des Wohlergehens stützt, sagt der Philosoph, wäre die Erfüllung des Wunsches nach Selbsttötung nicht im Interesse der Person. Man erkennt an Äußerungen wie dieser, dass es sich bei Nida-Rümelin nicht eigentlich um ein tragisches Temperament handelt. Eine gewisse unbeschwerte Kindlichkeit des Gemüts gehört zur Grundausstattung des analytischen Philosophen, wahrscheinlich zu jedem Pilosophen. Deshalb fangen die meisten Menschen zwar irgendwie als Philosophen an, wechseln dann aber doch die Fakultät. Sehr lange haben wir über das Diagramm auf Seite 839 nachgedacht, mit dem unserer Kulturstaatsminister den Lebenswert eines Todkranken ermittelt. Todkranke sind ein Glücksfall für analytische Philosophen. Nehmen sie Schmerzmittel, verkürzt sich ihre Lebenszeit. Nehmen sie keine, halten sie das Leben zwar nicht aus, leben dafür aber länger. Mannigfaltige gerade und krumme Linien laufen durch das Diagramm mit Buchstaben dran wie LVZ (Maximale Verlängerung der Lebenszeit durch Mittel [G]), IK (Indifferenzkurve) oder LD (Letale Dosis). Ja, wir geben zu, darüber nachgedacht zu haben, ob Menschen, die Botho Strauß nicht leiden können, ihm nicht die „Angewandte Ethik. Die Bereichsethiken und ihre Fundierung“ schenken sollten? Es gibt noch einen Unterschied zu Botho Strauß. Man kann bei Strauß nie die Zusammenfassungen lesen. Zusammenfassungen sind demokratisch, sie fallen unter das von Strauß befehdete Projekt der Lebenserleichterung. Bei Nida-Rümelin ist das anders: (1.) Der subjektive Wert des Lebens „kann intrapersonell skalenvariant sein, wobei diese Skalenvariabilität bezüglich einer Person sowohl finite wie transfinite Werte umfassen kann“. Insgesamt acht Punkte. Botho Strauß irrt. Lebenserleichterung ist ein ungemein relativer Begriff. Wir haben das dann noch zusammen in einer philosophischen Selbsthilfegruppe gelesen, auch die „Tierethik I“. Über grün leuchtende Affen stand nichts drin.

Trotzdem muss man sagen, dass unser Kulturstaatsminister im Vergleich zu den Neoautarkisten, Radikalutilitaristen, Kontraktualisten, den Präferenzutilitaristen sowie den gemäßigten Konsequenzialisten ein ungemein ausgleichender Denker ist. Nur Fulguristen kommen bei Nida-Rümelin nicht vor. Strauß ist Fulgurist: „Als Fulgurist hingegen glaube ich an den Blitz, der uns irgendwann dazwischenfährt, das heilig Unvorhersehbare.“ Was, mitten zwischen Radikalutilitaristen, Präferenzutilitaristen und Kontraktualisten? Als Nächstes lesen wir alles über Fulgurismus. Fulgur, lat. der Blitz.

Fotohinweis:Kerstin Decker ist Philosophin und lebt als Autorin in Berlin.