„Lebensmittel besser importieren“

Der frühere Chef der deutschen Industrie, Hans-Olaf Henkel, hält die BSE-Krise nicht für eine Folge des Wettbewerbsdrucks auf den Agrarmärkten. Im Gegenteil, mehr Markt täte der EU-Landwirtschaft gut. Das derzeitige System findet er absurd

von BERNHARD PÖTTER und KATHARINA KOUFEN

taz: Ist BSE eine Folge der Marktorientierung der Landwirtschaft?

Hans-Olaf Henkel: Das hat doch mit dem Markt gar nichts zu tun. Natürlich braucht der Markt Regeln, genauso wie ein Fußballspiel Regeln hat. Er braucht einen Schiedsrichter und eine gelbe und rote Karte. Sonst würde sich der Markt gegen die Gesellschaft richten, und wir hätten nur noch Monopole, die sich bereichern. Das ist ja gerade das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft, dass Regeln da sind. In der europäischen Landwirtschaft wird der Markt aber außer Kraft gesetzt.

Sie sagen, im Agrarbereich gäbe es keinen Markt. Andererseits wird der Zwang zur billigen Produktion damit begründet, die EU mache sich fit für den Weltmarkt.

Schön wär’s, wenn es mal so weit kommt. Das ist auch nötig, denn es gibt ja nicht nur Bauern, es gibt auch Konsumenten – und andere Länder: Europa wird weder mit Amerika oder der Osterweiterung fertig, wenn wir kein marktgerechteres Agrarsystem haben.

Hat der hohe Preisdruck auf die Bauern nicht die BSE-Krise erst hervorgerufen?

Zum jetzigen Zeitpunkt weiß niemand genau, wo BSE herkommt. Außerdem: Dort, wo der Agrarmarkt wirklich funktioniert, haben wir dieses Problem gar nicht.

In Nordamerika werden Rinder dafür mit Hormonen behandelt ...

Die Amerikaner sind das empfindlichste Volk, wenn es um die Verunreinigung von Lebensmitteln geht. Aber hormonbehandeltes Fleisch akzeptieren sie, obowohl noch keiner bewiesen hat, dass es schädlich ist. Insofern halte ich das, wie die Amerikaner, für eine europäische Schutzbehauptung, um die Konkurrenz außer Lande zu halten.

Wenn ein argentinisches Ei hier im Supermarkt nur 10 Pfennig kostet, was soll denn dann der deutsche Bauer machen?

Unsere Bauern beschweren sich über zu niedrige Preise. Die Verbaucher über zu hohe. Wir brauchen einen Markt und Regeln, dazu gehören Lebensmittel- und Tierhaltungsverordnungen. Ich kann bei der BSE-Krise nicht erkennen, dass der Markt sich versündigt hat.

Andere Länder oder Regionen können Agrarprodukte schon heute billiger anbieten. Wäre es nicht ökonomisch sinnvoller, Europa würde ganz auf Landwirtschaft verzichten?

Ganz vielleicht nicht, aber auf ein „Zuviel“ schon. Es ist doch absurd, dass wir mit Steuergeldern Lebensmittel produzieren, um sie zu vernichten, während die Entwicklungsländer ihre Waren gern hier verkaufen möchten, aber nicht dürfen. Es ist doch besser, Lebensmittel von dort zu importieren. Von dem Geld, was diese Länder damit einnehmen, könnten sie bei uns Industriewaren kaufen. Es ist gut für alle, wenn man sich dort, wo man gut ist, spezialisiert und mit diesen Produkten auf den Markt geht und von anderen die Dinge nimmt, die die besser können.

Bauern zu Computerspezialisten ?

Warum denn nicht? Früher wären die Bauern dann gezwungen gewesen, in die Metropolen zu ziehen. Heute gibt es eine Perspektive: das Internet. Sie können heute die Bites und die Bytes reisen lassen – und Sie können das auch in den Dörfern tun.

Auf dem Land würde sich viel ändern, wenn alle Bauern am Computer sitzen.

Das ist ein Angebot. Man könnte auch Folgendes machen: Über 50 Prozent der Ausgaben, die Brüssel verwaltet, gehen an die Landwirtschaft. Man könnte sagen: Wir geben das Geld weiterhin aus, aber wir pflegen die Landschaft damit. Das wäre eine weitere Alternative.