Zwischen Scherben suchen

■ Das Reich der Karolinger mit seinen Scherben, Schlittschuhknochen und Websteinen kommt in der Wertpapierbörse in der City Stück für Stück wieder ans Licht des Tages

Einen halben Meter tief im Boden der Wertpapierbörse fängt das Mittelalter an: Schwarzes Erdreich, durch Jahrhunderte hart gepresst. Je tiefer runter desto älter die Schichten. Nach Archäologen-Lesart findet man das neunte Jahrhundert, das Reich der Karolinger, schon einen Meter unter Keller-Niveau. Mittemang Scherben, Kohlestückchen und Maikäfergänge.

Von außen betrachtet sieht der Bodenaushub in der Wertpapierbörse ganz unspektakulär aus. Für Bremens Chef-Archäologen Manfred Rech ist die Grube aber „ganz heiß“. Erst am Dienstag ist man auf Sand der Bremer Düne gestoßen. Vielleicht zwei Meter tief unten und gelb und hart. Darüber die erste Siedlungsschicht. Hier sucht Rech nach Resten menschlicher Behausung. Ihn treibt die Frage, wie die Karolinger seinerzeit in Bremen lebten, als Bremen vielleicht tausend Einwohner zählte, die ersten Bischöfe in die Hansestadt zogen und die Wikinger missioniert wurden. Wie zum Beispiel sah der Flecken rund um die Obernstraße aus: Ob dort Wald oder Wohnungen standen, das will Rech mit seinen Helfern in diesem Jahr klären.

Anlass ist die Baustelle Wertpapierbörse. Von innen soll das Gebäude komplett entkernt werden. „Baubegleitend“ wollen die Archäologen unten buddeln, wenn die Räumtrupps ohnehin den Zementboden im Keller aufreißen. „Sonst könnten wir uns das gar nicht leisten.“ Bis Ende des Jahres soll es richtig losgehen mit dem Altertümer-Schürfen.

Im Moment gibt es nur zwei lange „Suchschnitte“, einen Grabungs techniker, seinen schon längst im Ruhestand befindlichen Vorgänger, der das Graben aber nicht lassen kann, und ein paar Studenten. Und überall küchentechnisches Hilfswerkzeug: Siebe voller Knochen und Scherben. Stricknadeln mit denen die Bodenschichten fein säuberlich nachgezogen werden. Und Zeichnungen, wo wann was wie tief gefunden wurde.

Vor vier Jahren hatte Rech mit seinem Leuten schon auf dem Nachbargrundstück gebohrt. Und die Funde Richtung Wertpapierbörse waren vielversprechend. „Diese Ecke ist für uns richtig spannend.“ Hier hofft Rech zum ersten Mal auch Häuserreste aus der Karolingerzeit aufzuspüren. Der sichere Beweis wäre ein Pfostenloch. Das könnte klären, wie weit die Besiedlung damals überhaupt ging. Rech vermutet, dass sich auf diesem Flecken Händler niedergelassen haben könnten. Schließlich war der Ufermarkt ganz in der Nähe. Aber bislang gab es im kalten Keller noch kein Hinweis auf ein Pfostenloch.

In den ersten Grabungstagen schürfte Rechs Team ein buntes Sammelsurium an antiken Relikten zusammen. Knochen vor allen Dingen. Hühnerbeine von einer mittelalterlichen Mahlzeit. Oder auch glattpolierte Schlittschuhknochen, die zum Gleiten unter die Schuhe gebunden wurden. „Kein besonderer Fund“, die Knochenkufen gibt's überall im Bremer Boden, stammen aber aus dem hohen Mittelalter. Vermutlich brachten die Holländer die antiken Skates mit in die Hansestadt. Eine Münze fand man auch: Wie alt sie ist und wieviel wert sie mal war, bleibt noch zu ermitteln.

Und dann gibt es da noch Scherben. Schwarze Scherben – „im Mittelalter hat man die schwarz gebrannt“ – und Scherben aus klein gemahlenen Muscheln. Die Fund-stücke wandern sofort unter das Mikroskop. Rech würde gerne davon wissen, bis wohin die Handelsbeziehungen der Bremer früher reichten. Die Muschelsplitter stammen aus Ostfriesland. Import-Keramik aus dem Ruhrpott war bislang noch nicht dabei. Aber vielleicht beim nächsten Fund. pipe