Richten und richten lassen

■ Senator Bernt Schulte (CDU) hat eine vorläufige Fassung des Kulturentwicklungsplans serviert: Es steht viel Prosa pro Kultur drin, doch die Finanzfragen bleiben offen

Dienstagabend, 23 Uhr. Aus einem Drucker im Büro des Kultursenators Bernt Schulte (CDU) kommt die vorerst aktuellste Fasssung eines 48 Seiten dicken Dokuments. Ungezählte AutorInnen haben an diesem Werk mitgeschrieben, monatelang hat das Formulieren, Feilen und Streichen gedauert. Jetzt spuckt der Drucker endlich das lang erwartete Dokument aus, nach dem sich Bremens Kulturszene in den nächsten Jahren richten und richten lassen soll. Doch kaum ist das Werk vorläufig fertig, hat es auch schon einen neuen Namen: Aus dem Kulturentwicklungsplan alias KEP ist jetzt ein „Rahmenplan für die Kulturentwicklung“ geworden. Nach weiteren Gesprächen unter anderem mit VertreterInnen Bremer Kultureinrichtungen will Schulte diesen Entwurf im Sommer zum KEP vollenden.

Den letzten Kulturentwicklungsplan für Bremen hatte die damals noch allein regierende SPD 1983 vorgelegt. Mit seinem Folgewerk haben Schulte und seine Staatsrätin Elisabeth Motschmann (CDU) sowie die ebenfalls als politische Mitautorin tätige Sprecherin der Kulturdeputation, Carmen Emigholz (SPD), den Anspruch auf Dauerhaftigkeit: „Ich habe den Ehrgeiz, eine mindestens bis 2010 geltende Fortführung des Kulturentwicklungsplans zu machen“, sagte Schulte jetzt vor JournalistInnen. Und so bekommen es Bremens TheatergängerInnen, MuseumsbesucherInnen oder MusikerInnen in den Übungsbunkern mit vier Leitbildern zu tun: Schulte will die „Tradition bewahren und erneuern“, die „Partizipation ermöglichen und erweitern“, „Kultur als Investition in die Zukunft“ verstanden wissen und schließlich die „Innovation in den Künsten fördern“.

An Zielen fehlt es diesem Werk genauso wenig wie an prosaischen bis substanziellen Absichtsbekundungen pro Kultur. Der Plan setzt zwar deutliche Akzente bei den klassischen Instituten und hier vor allem bei den Museen. Zugleich wird aber immer wieder betont, den finanziellen Spielraum für Projekte und neue Ideen zurückgewinnen zu wollen. Der größte Teil des 133,8 Millionen Mark umfassenden Kulturetats ist zurzeit in feste Betriebs- und Personalausgaben von Zuwendungsempfängern gebunden. Dass dies im Plan als Problem benannt wird, dürfte Kulturabteilungsleiter Reinhard Strömer und dem Geschäftsführer der Controlling-Gesellschaft kmb, Volker Heller, zuzuschreiben sein, deren Herz dem Vernehmen nach besonders für die freie Szene schlägt.

Mehr als die Hälfte des Rahmenplans ist mit Aussagen über einzelne Sparten und Einrichtungen gefüllt. Die Palette an Zielen und Maßnahmen reicht von verringerter Förderung etwa für das Vegesacker KITO bis hin zur Verstetigung des Zuschusses etwa für die Kammerphilharmonie. Das schon mal auf „Abschusslisten“ platzierte Tanztheater findet sich in Schultes Plan als Sparte mit besonderer Bedeutung wieder. Ansonsten tauchen neben den zahllosen Einrichtungen in einem Spektrum von belladonna bis Stadtbibliothek immer wieder Empfehlungen wie „Verbesserung Marketing“ oder „Verstärkte Einwerbung von Drittmitteln“ auf. Pauschal gilt für alle Einrichtungen: Sie sollen noch mehr Hilfe von Ehrenamtlichen heranziehen und ihre Einnahmen um zwei Prozent pro Jahr steigern.

Dazu werden sie voraussichtlich auch allen Grund haben. Denn Schultes Werk ist anzumerken, dass die alles entscheidende Frage noch offen ist: die Frage danach, wie hoch der Kulturetat in den nächsten Jahren sein wird. Von den Grausamkeiten der mittelfristigen Finanzplanung ist im Plan so gut wie keine Rede mehr. Stattdessen findet sich die zuerst von CDU-Fraktionschef Jens Eckhoff in der taz in Aussicht gestellte so genannte „Deckelung“ des Status quo im Papier wieder. Doch auch die hat es in sich. Der 133,8-Millionen-Mark-Etat wird zwar nicht mehr direkt gekürzt, sondern bleibt bis 2005 gleich hoch. Doch Tarif- und Sachkostensteigerungen reißen bis 2005 sozusagen indirekt ein Loch von 12,5 Millionen Mark oder mehr als neun Prozent. „Das saugt uns das Rückenmark aus“, sagt ein Finanzmann aus einer großen Kultureinrichtung.

Das Problem, das dem Vernehmen nach inzwischen auch im Hause des Finanzsenators Hartmut Perschau (CDU) erkannt wird, liegt in einer doppelten Ungleichbehandlung. In der so genannten Tarifvorsorge hat Perschau für den öffentlichen Dienst die nötigen Mittel für Tarifsteigerungen von zunächst 1,5 und dann ein Prozent. Doch die ehemaligen Behörden und nun zu Stiftungen oder Eigenbetrieben verselbständigten großen Häuser im Kulturbereich gingen dabei im vergangenen Jahr leer aus. Die einzige Ausnahme: Intendant Klaus Pierwoß hatte für das Bremer Theater sogar eine volle Übernahme der Tarifsteigerungen durchgesetzt. Keiner weiß jetzt genau, ob das Theater in Sachen Tarifvorsorge den ganzen Kulturkuchen aufgegessen hat oder ob das Übersee-Museum bis hin zur Volkshochschule sowieso dazu verdonnert sind, die Tarifsteigerungen selbst zu erwirtschaften. Bei der Verselbständigung hat das Problem offenbar niemand abschätzen können. Man war davon ausgegangen, einen Ausgleich für die Tariferhöhungen zu bekommen. Doch nun sitzen die Damen und Herren der Zahlen da in den Stiftungen und Eigenbetrieben und haben eine harte Nuss zu knacken: Ihre MitarbeiterInnen genießen Bestandsschutz und werden individuell weiterhin nach den Regeln des öffentlichen Dienstes bezahlt. Die Einrichtungen aber müssen das Geld aus dem Programm streichen. Da kündigen sich Verteilungskämpfe an.

Dabei hätten's andere Leute gerne friedlich. Maßgebliche Leute sogar, wie Klaus Sondergeld, der Geschäftsführer der Bremen Marketing GmbH, beobachtet hat. Diesen Entscheidern „kommen die Kulturleute wie quengelnde Kinder am Hosenbein von Papa vor“. Von FinanzpolitikerInnen hört Sondergeld die Botschaft, dass die Kultur auch mit 50 Millionen Mark mehr keine Ruhe geben würden, also könne auch alles so bleiben. Der BMG-Chef plädiert für andere Ideen und eine andere Sprache und fordert damit Intendant Pierwoß heraus. Wieder schimpft der über die acht Millionen Mark Sanierungshilfe, die das Musical „Jekyll & Hyde“ zusätzlich bekommen hat. Sondergelds Argumente bezeichnet er als Schönrederei und stellt fest: „Ohne das kreative Unruhepotenzial hätte die Kultur nicht den Stellenwert, den sie inzwischen hat.“ Und: „Wir müssen eine Erhöhung des Kulturetats fordern“, sagt Pierwoß und kritisiert den Kultursenator dafür, dass er dies nicht unterstützt.

Macht er auch nicht. „Ich kann die Vorstellung verwerfen, dass wir mehr kriegen für Kultur, wenn alle anderen weniger kriegen“, sagt Schulte. Das Musical oder die Bahnhofsplatz-Pflasterung sind mit allen anderen zwar nicht gemeint, sondern wohl die anderen konsumtiven Ressorts, wozu auch Schultes Innenressort zählt. „Der Polizeipräsident“, stichelt Schulte, „ist wesentlich reformfreudiger als der Theaterintendant – das hätte ich der Polizei gar nicht zugetraut.“

Zurzeit appellieren die KulturpolitikerInnen von SPD und CDU an den Reformeifer der Kulturszene. Unter dem von uns hier mal vorgeschlagenen Motto „Selbstbestimmt sparen“ hat die SPD einen Arbeitskreis gebildet, und die CDU verantwortet immerhin den Kulturentwicklungsplan. Darin wirbt Schulte vorsichtig für die Beiträge der Kultur für die Sanierung. Die Stichworte Umwegrentabilität und Kaufkraftzufluss fallen, und es werden Umfragen zitiert, nach denen TouristInnen vor allem wegen des Besuchs von Kulturstätten nach Bremen kommen. Trotzdem: „Ohne den Nachweis struktureller Veränderungen werden wir weder beim Finanzsenator noch in der Senatskanzlei Unterstützung finden“, sagt Schulte.

Doch wie quetscht man eine leere Orange weiter aus? Gleich mehrere neuere Einrichtungen haben so wenig Geld, dass ihr bisweilen bemerkenswerter kultureller Output oft ein Wunder ist. Das vor zehn Jahren gegründete Neue Museum Weserburg musste mit einer fest angestellten Person in der Aufsicht anfangen. Das Wagenfeld-Haus ist kaum mehr als ein Ein-Personen-Betrieb. „Die werden so kurz gehalten, dass sie den Zweck ihrer Arbeit kaum erfüllen können“, sagt ein Insider. Schulte und Motschmann wollen nun zusammenlegen, was zusammenzulegen ist: Volkshochschule und Musikschule sollen zum Beispiel ab 2002 nur noch eine Verwaltung haben. Auch eine engere Zusammenarbeit von Kammerphilharmonie und Staatsorchester ist noch immer angestrebt.

Oft geht es bei den Strukturveränderungen nur um die politische Botschaft: „Wir tun was.“ So hatte Schulte, der zugleich dem Aufsichtsrat des mit rund 41 Millionen Mark größten Zuschussempfängers Theater GmbH vorsitzt, einen Tarifvertrag in der unteren Lohngruppe gekündigt. Die interne Strukturreformkommission hatte zuvor davon abgeraten, weil das die NiedrigverdienerInnen unter den NiedrigverdienerInnen trifft. Über einen neuen Haustarif wird verhandelt. Laut Intendant Pierwoß schätzt Schulte das Einsparpotenzial auf 50.000 Mark. Schulte weist das zurück und erklärt, er habe nie eine Zahl genannt. Aber politisch verkauft Schulte die Vertragskündigung als „Bremer Initiative“, um das komplizierte Tarifgeflecht an den deutschen Stadttheatern zu lichten. Da kreißt der Berg, und noch werden Wetten angenommen, ob eine Maus oder mehr dabei rauskommt. Christoph Köster