DER OSTEN IST SICH SELBST NICHT EINIG – ALSO HILFT DER WESTEN NICHT
: Integration durch Solidarität

In der Regel ist es die Harmonie der Stimmen, die die Qualität eines Chors ausmacht. Lauscht man jedoch den politischen Chören Ostdeutschlands, bekommt man einen Gehörschaden. So beim Kabinettschor in Sachsen-Anhalt. Die gesamte Ostförderung sei ein Auslaufmodell, erklärt Wirtschaftsminister Gabriel. Spätestens 2005 müsse Schluss sein mit der Sondernummer Ost. Gabriels Sangeskollege, Finanzminister Gerhards, behauptet das Gegenteil: Noch 10 Jahre brauche Ostdeutschland die Sonderförderung – wohl gemerkt nach 2005. Dirigent Höppner beeilte sich, Gabriels Solo als private Stimmübung herunterzuspielen. Erfolglos: Die Dissonanzen haben sich festgesetzt im Ohr.

Wobei Höppner selbst Misstönen nicht abneigt ist. Als SPD-Chorleiter Thierse jüngst seine Ostdeutschland-Partitur auflegte, maulte der Ministerpräsident des ärmsten Bundeslandes: „Widerspruch.“ Um anzufügen: Natürlich müsse man jetzt alle Kräfte für den Solidarpakt II bündeln. Nichts anderes stand in Thierses Partitur.

Stolpe gegen Biedenkopf, SPD gegen PDS, alle gegen Schwanitz: Der Osten ist stimmen- und lobbylos. Noch immer haben die Abgeordneten aus dem Beitrittsgebiet Probleme, sich im Bundestag als Minderheit zu organisieren. Von medialer Interessenpräsenz ganz zu schweigen.

Dabei zeigt die Geschichte: Eine regionale Interessenpolitik ist so einfach wie erfolgreich – wenn sie sich nicht von Parteipolitik leiten lässt. Wann immer es in der alten Bundesrepublik um Zuwendungen für das Zonenrandgebiet ging, arbeiteten Politiker, Parteien, Industrie- und Handelskammern eng zusammen. Durch angedrohte Stimmenverweigerung, überfraktionelle Strategien oder Personalentscheidungen wurden selbst kaum begründbare Subventionen für den Streifen von Schleswig-Holstein bis Passau durchgepeitscht. Das Beispiel belegt: Finanziellen Beistand gibt es nicht von selbst. Politik, die Integration durch Solidarität anstrebt, muss sich organisieren.

Davon ist der Osten weit entfernt. Statt eines klaren Unisonos kommt von hier nur chaotisches Stimmengewirr. Kein Wunder, dass sich in der neuen Bundesrepublik niemand wirklich für Choräle aus dem Osten interessiert. NICK REIMER