Amtsenthebung ausgehebelt

In den Philippinen demonstrieren zehntausende Menschen, nachdem das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Estrada ausgesetzt wurde. Zuvor waren alle Ankläger aus Protest zurückgetreten, weil sie belastendes Material nicht benutzen dürfen

aus Manila HUGH WILLIAMSON

Das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Joseph Estrada ist gestern für unbestimmte Zeit ausgesetzt worden. Der Vorsitzende des parlamentarischen Untersuchungsausschusses, Hilario Davide, verfügte die Aussetzung, nachdem die elf Ankläger zurückgetreten waren. Vorausgegangen war eine umstrittene Entscheidung des Senats, der am Dienstag mit einer Stimme Mehrheit für den Ausschluss wichtiger Beweismaterialien gestimmt hatte.

Senatspräsident Aquilino Pimentel reagierte darauf mit seinem Rücktritt. In dem Amtsenthebungsverfahren wird Präsident Estrada Bestechung durch ein illegales Glückspielsyndikat vorgeworfen.

Die zurückgetretenen Ankläger, die zur Opposition im Unterhaus des Kongresses gehören, müssen auch aus diesem Gremium ersetzt werden, in dem Estradas Anhänger die Mehrheit haben. Beobachter halten es für unwahrscheinlich, dass sich andere Oppositionsabgeordnete als Vertreter der Anklage melden. Pro-Estrada-Abgeordneten würde jedoch die Legitimität fehlen. „Das Amtsenthebungsverfahren ist irrelevant geworden“, sagte Pabilito Sanidad, ein Rechtsanwalt auf Seiten der Anklage.

In Manila und in zahlreichen Städten des Landes demonstrierten gestern zehntausende Menschen gegen die Entscheidung des Senats, die belastenden Dokumente aus dem Verfahren herauszuhalten. Nach Angaben der bisherigen Ankläger beweisen die Papiere, dass Estrada ein unrechtmäßiges Vermögen von 3,3 Milliarden Peso (136 Millionen Mark) angesammelt habe.

Manilas Kardinal Jaime Sin bezeichnete Estrada gestern als „unmoralischen Präsidenten“ und die elf Senatoren, die zu seinen Gunsten gestimmt hatten, als „schamlos“. Vertreter der Opposition erklärten, die Abstimmung vom Dienstag zeige, dass der Präsident trotz der zahlreichen Beweise gegen ihn noch genügend Unterstützung im Senat habe, um weitere Beweise in dem am 7. Dezember begonnenen Amtsenthebungsverfahrens zu unterdrücken und einen Freispruch zu erreichen. Sie riefen zu einer Massenbewegung gegen Estrada auf, ähnlich der, die 1986 den Diktator Ferdinand Marcos gestürzt hatte.

Estrada, der jegliches Fehlverhalten von sich weist, rief die Bevölkerung zur Ruhe auf. Ein Minister seines Kabinetts forderte von den Anklägern, ihre Rücktritte zurückzunehmen, „um den konstitutionellen Prozess des Landes zu respektieren“. Auch Estrada-Unterstützer im Unterhaus erklärten, sie wollten die Ankläger zu einer Rückkehr zum Verfahren bewegen.

Aus Sorge vor politischer Instabilität und vor einem Verbleiben Estradas im Amt fiel der philippinische Aktienindex gestern um sechs Prozent. Auch der Kurs des Peso fiel zunächst auf ein Rekordtief und erholte sich danach nur leicht. Eine Vereinigung von neun Wirtschaftsverbänden verurteilte die Senatsentscheidung vom Dienstag als „grobe Ungerechtigkeit“ und beschuldigte den Präsidenten, „jede Autorität zum Verbleib im Amt verloren“ zu haben. Militär und Polizei verschärften die Sicherheitsvorkehrungen. Führende Offiziere betonten ihre Loyalität zum Präsidenten und zur Verfassung. Als Zeichen wachsender Sorgen vor einem möglichen Putsch sagte die Vizepräsidentin und Oppositionsführerin Gloria Macapagal Arroyo: „Ich warne die, die mit einer Junta die Regierungsmacht übernehmen wollen, da sich das Volk dem mit Sicherheit entgegenstellen wird.“

Auch der frühere Präsident und Exgeneral Fidel Ramos schloss sich den Protesten an. Laut Nachrichtenagentur AP sagte er, es sei an der Zeit, dass sich auch die Polizei und Teile des Militärs an dem Aufstand gegen Estrada beteiligten. Ramos hatte 1986 mit einem Putsch zum Sturz von Marcos beigetragen.

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