Keine Heimat in Aussicht

Der 23-jährige Asylbewerber Filipe Mbimba Tela aus Angola lebt seit elf Jahren in Berlin. Nach der Elektroinstallateurlehre hat er einen Arbeitsplatz angeboten bekommen und könnte sofort anfangen zu arbeiten. Jetzt soll er abgeschoben werden

von PETRA MAYER

Völlig ruhig und fast teilnahmslos erzählt der 23-jährige Filipe Mbimba Tala seine Geschichte. In seinem Innern sieht es jedoch ganz anders aus. Mit seinen dunklen Jeans, dem grauen Wollpullover und dem Dreiviertelmantel macht er einen seriösen, aufgeräumten Eindruck. Doch seit einem Jahr ist der junge Mann ohne Hoffnung, hat keine Pläne mehr für die Zukunft, lebt in ständiger Angst vor der Abschiebung – in ein Land, in dem Krieg herrscht.

Filipe ist einer von rund 45 Flüchtlingen aus Angola, die minderjährig nach Berlin eingereist sind. Im Sommer 1990 floh er mit seiner fünf Jahre älteren Schwester im Flugzeug von Angola via Portugal nach Berlin. Sie hatte „Probleme mit dem Militär“, erzählt er. Was genau, weiß er nicht. Die Eltern starben 1987 – beide hatten keine Zukunft in Angola. Der zwölfjährige Vollwaise, der sich heute kaum an diese Zeit erinnern kann, kam voller Zuversicht auf eine Schulausbildung und Arbeit, war zunächst aber völlig auf seine Schwester angewiesen. Sie stellte einen Asylantrag für sich und den Bruder. Für einen Monat kamen sie zusammen in ein Wohnheim. „Danach wurde ich in eine Pension geschickt. Nach weiteren zwei Monaten wurden wir endgültig getrennt“, erzählt er ohne Emotionen.

Die Schwester wurde nach Stuttgart verlegt. Seit 1993 hat ihr Bruder keinen Kontakt mehr zu ihr. Seine Briefe wurden nicht mehr beantwortet, berichtet er traurig.

Filipes nachfolgende Odyssee beginnt mit dem Aufenthalt in einem Kinderheim, dem Besuch einer Sprachschule und Eingliederungslehrgängen, um Deutsch zu lernen. Dann der Umzug in ein deutsches Heim und der Realschulabschluss an einer deutschen Schule in Charlottenburg. Dort gewinnt er deutsche Freunde, ist integriert. „Ich erinnere mich sehr gern zurück an diese Zeit“. Für einen Augenblick leuchten seine Augen.

Gleich im Anschluss sucht Filipe eine Lehrstelle als Kfz-Mechaniker. Die bekommt er nicht. Aber er findet eine Lehre als Elektroinstallateur bei der Werkschule Berlin in Wedding, die Ausbildungen für benachteiligte Jugendliche anbietet. Den Tipp hatte er von seinem Amtsvormund. Der Achtzehnjährige ist hoch motiviert, schließt beim zweiten Anlauf erfolgreich ab und bekommt dort sofort einen Arbeitsplatz angeboten.

Drei Tage kann er sich freuen über seinen Erfolg, plant eine Feier mit seinen Kumpels. Doch dann ändert sich alles: Nichtsahnend erscheint er Ende Februar 1999 in der Ausländerbehörde. Dort wird ihm eine Frist gesetzt, dass er innerhalb von vier Wochen ausreisen muss. Sein Asylantrag ist abgelehnt. Fassungslos und voller Angst kehrt er in seine Wohnung in Spandau zurück. Wohnt dann zeitweise bei Freunden, um nicht in der Wohnung angetroffen zu werden. Deswegen will er auch nicht fotografiert werden.

Filipe wendet sich an die Ausbildungsfirma, die ihn sofort unterstützt, einen Rechtsanwalt engagiert. Jeden Monat geht jemand aus der Werkschule für ihn zur Behörde, um seine Abschiebung für einen weiteren Monat hinauszuzögern. „Ohne die hätte ich es nicht geschafft“, sagt Filipe. Er traut sich seit Februar vergangenen Jahres nicht mehr aufs Amt, aus Angst, sofort abgeschoben zu werden. Seine Freude und der Stolz über den erfolgreichen Abschluss ist dem hageren, attraktiven jungen Mann noch anzumerken, aber auch der Ärger und das Unverständnis über die Gesetzeslage. Er befindet sich in einem Teufelskreis. Obwohl er eine erfolgreich abgeschlossene Ausbildung und ein konkretes Arbeitsplatzangebot hat, soll er abgeschoben werden.

Die Absurdität dieser Geschichte wird an der unterschiedlichen Behandlung von Flüchtlingen deutlich. Wäre Filipe Mbimba Tala sieben Monate früher eingereist – bis zum vor dem 1. Januar 1990 – bekäme er jetzt durch die von der rot-grünen Regierung beschlossene Altfallregelung eine Aufenthaltsbefugnis. Kinder, die mit ihren Eltern gekommen sind, bekommen sie, wenn sie seit dem 1. Juli 1993 in Deutschland leben.

Der inzwischen völlig verzweifelte Mann kann den angebotenen Arbeitsplatz nicht antreten, da er zwar seit August 2000 eine jeweils für drei Monate gültige Duldung erhält, damit aber keinen Anspruch auf eine Arbeitsgenehmigung hat. Sein Asylantrag wurde im Januar 2000 endgültig abgelehnt. „Die machen uns verrückt im Kopf“, sagt er hilflos. Er will nicht so enden wie einige seiner Kumpels, die ohne Ausbildung „vor sich hinvegetieren“, nur noch essen und schlafen.

Filipe lebt von 700 Mark vom Arbeitsamt, bekommt 200 Mark zusätzlich Sozialhilfe. 500 Mark muss er allein für die Miete abdrücken. Er ist frustriert. „Die Leute sehen mich auf der Straße wie einen völlig normalen jungen Mann, aber was wirklich bei mir los ist, weiß niemand.“ Berlin darf er seit elf Jahren als Asylbewerber nicht verlassen, nicht mal nach Potsdam.

Die derzeitige Duldung gilt noch bis Ende Februar. Was dann kommt, weiß er nicht. Die einzige Möglichkeit, die er jetzt noch hat: Er müsste seine deutsche Freundin heiraten. Deutschland ist ihm zur Heimat geworden, er spricht die Sprache fließend, hat sein gesamtes soziales Umfeld hier in Berlin. Angola ist ihm kein Zuhause mehr. Dort hat er keine Familie, keine Freunde, keine Zukunft. Seine Pläne, auf die er stetig und hoffnungsvoll hingearbeitet hat, scheinen zunichte. Filipe kann sich heute überhaupt nicht mehr vorstellen, woanders zu leben als in Deutschland. Arbeiten und eine Famile gründen – seitdem er seine Ausbildung abgeschlossen hat, ist die Zuversicht dahin. Gegen Ende des Gesprächs geht der schüchterne junge Mann etwas aus sich heraus. „Ich fühle mich wie ein Hund hinter abgeschlossener Tür“, sagt er. Die Hoffnungslosigkeit ist ihm nicht anzusehen, aber der Schmerz wird beim Erzählen deutlich. Vor allem der Verlust seiner Schwester, von der er nicht weiß, wo sie ist, ob sie bereits abgeschoben wurde, trifft ihn tief. Er kann nicht nachvollziehen, warum sie damals getrennt wurden.

Seit er zwölf Jahre alt ist, kämpft er alleine – in einem fremden Land – für eine Zukunft, vor der er sich jetzt fürchtet.