Dauerlächeln macht traurig

Nie wieder Blümchen! Mit einer Abschiedstournee durch 22 Städte beendet Jasmin Wagner ihre Karriere als Kinderstar des Deppentechno – zum Start vor einer Kulisse, die zu Depressionen einlud

von JENNI ZYLKA

Es gibt Vorbilder, an die man sich erinnert fühlt: An die traurige Geschichte von Rex Gildo etwa. Wie er von Seniorenkaffeekränzchen zur Autohauseröffnung tingelte, „Hossa, Hossa“ rufend, aber unerwünscht und lächerlich. Und wie er dann, Ende 1999, gebrochen aus dem Fenster sprang. Ein Ende mit Schrecken.

Jasmin Wagner ist da schlauer. Sie hat ihre Karriere als Blümchen der Nation beendet, bevor sie beendet wurde. Hat noch einmal den ganzen Schmu mitgemacht, glänzende Plakate im Land aufhängen lassen, Bühnenoutfits zwischen Spacecowgirl und Haysee-Fantaysee-Rip-Off begutachtet, mit vier stämmigen Tänzern die aerobicartigen Schrittchen und Faustschläge einstudiert, die so gut zur schnellen Deppentechno-Untermalung passen. Auf ihrer Homepage hat sie einen handschriftlichen Abschiedsbrief hinterlassen, in einer seltsamen Mischung aus erwachsenen Querstrichen auf den Us, „daß“ mit ß und Rechtschreibfehlern. Und sie hat noch einmal für die Journalisten gelächelt, die vom Kinderkanal, von dpa und der Märkischen Oderzeitung zur Pressekonferenz kamen, um die Fragen zu stellen, auf die Jasmin im diplomatischen Bravo-Duktus „Alles bene“-Plattitüden antworten konnte. „Gab es auch etwas, das dich gestört hat in den letzten sechs Jahren?“ – „Manche Sachen waren schwierig“, windet sich Jasmin, „es war nicht alles einfach. Aber wir haben viel gelernt und gearbeitet blablabla.“

Beim ersten Konzert der Tournee in der Berliner Columbiahalle merkt man aber ganz deutlich, wie knapp die 21-Jährige wirklich an einem Rex-Gildo-Schicksal vorbeigeschlittert bzw. vorbeigetänzelt ist. Man merkt es zuerst am Etablissement, im Hinterkopf das Gerücht, dass für die Blümchen-Abschiedstour die großen Hallen abgesagt und kleinere gebucht worden seien: Die Columbiahalle ist bei weitem nicht voll. Und es kommen viele Menschen durch den Presseeingang in den Saal, der an diesem Tag die ungemütliche Atmosphäre eines Kaufhaus-Warenlagers hat, mit unbehandeltem Steinfußboden und lediglich einem hässlichen weißen Vorhang auf der kahlen, ungeschmückten Bühne. Vor dem sich die Supportacts wie bei einer Schulaufführung blamieren: Blümchens hoffentlich nicht legitime Nachfolgerin „Spacebelle“, eine 14-Jährige, die weder singen noch tanzen kann, der „Echt“-Verschnitt „Aerger“, und „Double Burger“, vier 11- bis 12-jährige Jungs, die Karikatur einer Boygroup.

Das Publikum freut sich aber auf den Topact und skandiert „BLÜMCHEN KOMM! BLÜMCHEN KOMM!“. Es ist nämlich ein merkwürdiges Publikum: relativ wenige Mädchen im kaufkräftigen Zielgruppen-Alter, Erwachsene (Eltern) mit ganz kleinen Mädchen auf den Schultern, erwachsene Männer (Päderasten), die hinten stehen, Proleten-Jungs, die Bier trinken und „Ausziehen!“ grölen, und natürlich JournalistInnen. Blümchen darf aber die ganze Bühne benutzen, in Lila, Weiß und Braun hin- und herlaufen und ihre Hits singen: „Herz an Herz“, „Nur geträumt“, „Bumerang“ und, wie sie behauptet, ihr Lieblingslied „Odyssee in 3D“: „Odyssee in 3D, Odysee durch den PC ...“

Dabei hatte sie vorher lächelnd gesagt, sie sei nicht mehr so ganz überzeugt von ihren Songs und wolle, wenn sie noch mal ein Musik-Comeback wagte, etwas ganz anderes machen. Sie stände im Übrigen auf Alternative Music sowie auf Ska. Und auf das Stück, dass sie zusammen mit Ärztemann Bela B. für einen Turbonegro-Sampler aufnehmen will, kann man schon gespannt sein.

Aber heute ist Jasmin eben noch Blümchen, und das Blümchen singt seinen norwegischen Nr.-1-Hit „Heut ist mein Tag“, „Verrückte Jungs“ und „Ich bin wieder hier“, lässt sich die perückenartigen, strähnchendurchsetzten Locken von einer Windmaschine aus dem Gesicht pusten und ist größer als alle vier Tänzer. Sie hätte es anders versuchen können. Hätte sich zum Beispiel, mit zunehmender Pubertät, mit der vielleicht die Einsicht gekommen war, dass so ein Teeniemagazin-Retorten-Dauerlächeln einen auch traurig machen kann, ein anderes Image zulegen können: Blümchen ist nur ein bisschen Make-up entfernt von einer dunklen, sexy, erwachsenen und ernst zu nehmenden Techno-Queen. Die Musik ist schnell genug. Wenn die Texte erwachsen, hintergründig, frech, frivol oder ironisch wären, könnte man sie sich auch auf Hardcore-Samplern vorstellen.

Oder, wenn ihr die dunkle Seite nicht so gefällt, als glamouröse Schwulenparty-Dragqueen-Heroine: Sie hätte das Zeug dazu. Ist groß genug, schön genug, künstlich genug. Sie müsste nur noch den Mut haben, selber in diese Richtung zu wollen.

Will sie aber nicht. Sie will lieber eine Abschiedstournee, sich dann ausruhen, ihren neuen Snowboard-Anzug ausprobieren, sich endlich eine Wohnung suchen, in die sie die drei goldenen Bravo-Ottos neben den Pop-Rocky-Goldschlumpf stellen kann, und vielleicht einfach mal drei Wochen lang nicht lächeln. Sie wird es gebrauchen können nach diesem Marathon durch 22 deutsche Städte, bei dem sich schon in Berlin abzeichnete, dass er nicht nur pures Vergnügen mit überzeugten, kreischenden Fans sein wird. Sondern der fast verzweifelte Versuch eines aus seiner Haut gewachsenen erwachsenen Blümchens, die anderen erwachsenen Ex-Blümchen-Fans und die Kinder, die ihr fremd geworden sind, noch mal mit dem „Piep, piep, kleiner Satellit, du und ich, ich und du, Astronauten-Rendezvous“-Mist einzulullen. Harte Arbeit. Toughe Frau. Du hast es so gewollt, Jasmin.