Birthler geht in die Offensive

Die Beauftragte für die Stasi-Akten verteidigt in einem Brief an den Innenausschuss des Bundestags die Praxis ihrer Behörde, Unterlagen über Prominente herauszugeben: „Nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet“. Gesprächsangebot an Otto Schily

von NICOLE MASCHLER

Der Papierberg, den die Mitglieder des Innenausschusses abarbeiten mussten, war in dieser Woche noch höher als sonst. In einem sechsseitigen Brief hatte sich die Beauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, an die Bundestagsabgeordneten gewandt, um „Unklarheiten aus dem Wege zu räumen“: Das vom Kanzler vorgeschlagene Moratorium zur Herausgabe von Stasi-Akten lehnt sie entschieden ab.

„Nach meiner Rechtsauffassung bin ich zur Herausgabe von Akten nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet“, heißt es in dem Schreiben, das der taz vorliegt. Der Innenausschuss nahm das Thema am Mittwoch erstmal von der Tagesordnung.

Birthlers Brief stellt einen Affront gegen Innenminister Otto Schily (SPD) dar. Dieser hatte mit einer Kabinettsweisung gedroht, weil er die Aktenherausgabe für rechtswidrig hält. Sie unterlaufe den Opferschutz. Ein Argument, mit dem auch Helmut Kohl die Veröffentlichung der ihn betreffenden Akten per Gericht verhindern will. Um die Wogen zu glätten, hatte Gerhard Schröder vorgeschlagen, bis zum Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts im Sommer auch andere Akten nicht herauszugeben. Dieses könne nämlich als „Leitentscheidung“ betrachtet werden.

Birthler hatte zugesichert, die Kohl-Akten bis zum Urteil im Sommer unter Verschluss zu halten. Doch die Klage, argumentiert Birthler, betreffe nur den Einzelfall. „Meine Bindung an Gesetz und Recht erlaubt es mir nicht, die Herausgabe von Akten zu anderen Personen mit Verweis auf die Klage von Dr. Kohl zu verweigern“, heißt es in Birthlers Brief. Eine Klage dürfe nicht die vom Gesetz vorgesehene „Abwägung zwischen Persönlichkeitsschutz und öffentlichem Interesse an der Stasi-Aufarbeitung zugunsten eines absoluten Vorranges des Persönlichkeitsschutzes verschieben“.

Das Stasi-Unterlagen-Gesetz hat dieses Interesse klar definiert: „Für die Forschung zum Zwecke der politischen und historischen Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes“ können Akten über Personen der Zeitgeschichte zur Verfügung gestellt werden, „soweit sie nicht Betroffene oder Dritte sind.“ Will heißen: soweit sie nicht ohne Wissen und Einwilligung von Abhöraktionen betroffen waren.

Doch ein Gutachten im Auftrag der Gauck-Behörde hat festgestellt, dass nur betroffen ist, wessen Privatleben ausgeforscht wird. Die Privatsphäre, beschreibt denn auch Birthler die Veröffentlichungspraxis ihrer Behörde, bleibe für Forschung und Medien tabu.

Doch die Stasi-Beauftragte hat Gesprächsbereitschaft signalisiert. Sie sei bereit, ihre Sicht der Dinge Schily und dem Innenausschuss persönlich zu erklären. Der dürfte an einem raschen Ende des Streits interessiert sein – häufen sich doch die Briefe in Sachen Stasi-Akten.

Neben den mehreren Landesbeauftragten haben auch 100 Historiker und DDR-Experten zur Feder gegriffen, um Birthler den Rücken zu stärken. „Mit diesem ungewöhnlichen Gesetzeswerk wurde gewährleistet, dass sich das wiedervereinigte Land der gesellschaftlichen Verheerungen bewusst werden konnte, die von der SED-Diktatur angerichtet wurden.“