Schmutziger Krieg

Der Algerienkrieg (1954 bis 1962) war jahrzehntelang in Frankreich offiziell gar keiner. Bis die Assemblée Nationale im Jahr 1998 die überfällige sprachliche Korrektur vollzog, hieß er „Befriedung“ und „Operation zur Aufrechterhaltung der Ordnung“.

Bei dem ungleichen Krieg zwischen französischer Armee und der algerischen Befreiungsfront kamen zwischen fünfhunderttausend und einer Million Algerier und 27.000 Franzosen ums Leben. Von den damals neun Millionen Bewohnern des riesigen Landes (viermal so groß wie Frankreich) flohen im Krieg drei Millionen. Nach der Unabhängigkeit verließen eine Million Menschen das Land in Richtung Frankreich, vor allem „Pieds Noirs“ – französische Siedler, seit Generationen in Algerien sesshaft.

In Algerien begann der Krieg, nachdem Frankreich sein Kolonialdebakel in Indochina erlitten hatte, 1956 kam jenes vom Suezkanal hinzu. Viele Fremdenlegionäre und französische Berufssoldaten in Algerien hatten zuvor in anderen Kolonien gedient. Erstmals in einer Kolonie kamen auch Militärdienstverpflichtete zum Einsatz. Zwei Millionen wurden im Laufe der acht Kriegsjahre dorthin geschickt.

Die starke Präsenz von Militärdienstleistenden in Algerien war ein wesentlicher Grund für das Scheitern des Putschversuches der Generäle. Die meisten französischen Spitzengeneräle in Algerien waren 1940 dem Londoner Aufruf von General de Gaulle zum Widerstand gefolgt. Nachdem der zum Staatspräsidenten avancierte de Gaulle 1959 das „Recht auf Selbstbestimmung“ in Algerien proklamierte, versuchten die Generäle im April 1961 einen Putsch gegen ihr einstiges Idol. Nach seinem Scheitern gründeten sie im Juni 1961 die bewaffnete Untergrundorganisation OAS, die Attentate gegen die Zivilbevölkerung verübte. Nach kurzer Zeit im spanischen und lateinamerikanischen Exil wurden die Putschistengeneräle Ende der Sechzigerjahre amnestiert. Einer von ihnen, General Bigeard, brachte es in den Siebzigerjahren sogar zum Verteidigungsminister.

Der systematische Gebrauch der Folter im Algerienkrieg ist spätestens seit dem Erscheinen des Buches „La Question“ von Henri Alleg im Jahr 1958 in Frankreich bekannt. Während des Krieges kritisierte lediglich ein einziger französischer Spitzenmilitär, General Pâris de Bollardière, die Folter. Er kam in Festungshaft. Nach Kriegsende bestätigte und rechtfertigte der französische General Massu in einem Buch die Folter.

Widerstand gegen den Algerienkrieg gab es in Frankreich vor allem von Pazifisten, Anarchisten und einem Teil der Kommunistischen Partei. Viele von ihnen unterstützten die FLN: als „Kofferträger“ mit Geld und Waffen, als Vermittler von Verhandlungen und in Einzelfällen auch militant vor Ort. Eine Gruppe von Intellektuellen um Jean-Paul Sartre unterzeichnete den „Aufruf der 121“ gegen den Krieg. Die französischen Sozialisten (SFIO) und die Konservativen versuchten die „Algerie française“ zu halten. Der spätere sozialistische Staatspräsident François Mitterrand erklärte 1954: „Algerien ist Frankreich.“

Nach zahlreichen anderen Versuchen, die Folter im Algerienkrieg offiziell zu verurteilen, lancierten zwölf französische Intellektuelle am 31. Oktober 2000 einen neuen Aufruf in der Zeitung L’Humanité. Die Welle von Reaktionen darauf hält bis heute an. Doch weder der sozialistische Premierminister Lionel Jospin noch der neogaullistische Staatspräsident Jacques Chirac haben bislang den Schritt zur historischen Abrechnung mit der Folter gewagt. DORA