Mit Luftballons geht's los

■ Zwischen Kalorienzählen und Bockspringen: Übergewichtige Kids haben nix zu lachen / Ein Kurs für „Pfundskinder“ und gegen Traurigkeit

Am Schlimmsten ist der Barren. Ein Folterinstrument, finden die meisten übergewichtige Kinder. Wenn sie erst die Beine nicht über die Stange kriegen. Und dann wie nasse Säcke zwischen den Holmen hängen bleiben und sich zum Gespött der Mitschüler machen. „Fettsack“, heißt es dann – inzwischen fast bei jedem dritten Kind, das eingeschult wird. Und am Ende machen die lieber gar keinen Sport als ständiges Spießrutenlaufen.

Solchen „Pfundskindern“ will Antje Büssenschütt mit ihrem Kursangebot Lust auf Bewegung machen – in aller Abgeschiedenheit vor Spottdrosseln. Das bislang in Bremen einzige Angebot soll den Kindern Mut machen, das Selbstbewusstsein stärken und auch Gewicht abbauen.

Aber langsam. Denn die meisten dicken Kinder haben verlernt, sich zu bewegen. Ballwerfen? Fehlanzeige. „Wir fangen mit Luftballons an, da können die Kinder sich drauf einstellen, dass da langsam etwas kommt.“ Selbst Federball können die meisten Zwölfjährigen nicht, weil sie es nie gelernt haben. Zur Trägheit kommen bei Zehnjährigen, die 80 Kilo mit sich rumschleppen, Gleichgewichts- und motorische Störungen hinzu.

„Aber wenn die einmal wissen, was sie können, dann kommen die aus sich raus“, weiß Büssenschütt. Dann werden aus Luftballons, Fußbälle und am Ende Medizinbälle. „Denn Kraft haben die ja.“ Trotzdem, Büssenschütt hat keine leichte Aufgabe: Quengelnde Kids. Wehleidige Kids. Einer ist gerade auf der Matte ausgerutscht und heult. Der nächste versteckt sich lieber als zu mitzuspielen. Und die nächsten haben keinen Bock auf Fußball. Vorsichtshalber gibt es alle paar Minuten ein neues Spiel.

Sport ist aber nicht das einzige, was Büssenschütt – meist auf Anweisung der Kinderärzte – mit den dicken Kleinen macht. In 14 Wochen packt die Ernährungswissenschaftlerin ein volles Programm. Jede Stunde beginnt mit Wiegen für die Verlaufskontrolle. In den Pausen folgt Ernährungsberatung und manchmal Kochen. Die Kurzen sollen hier ihre Essgewohnheiten überdenken und merken, dass Fernsehgucken und Essen nicht zusammengehören müssen. Am Ende stehen Gespräche mit Eltern und Kids auf dem Programm.

Ziel ist, dass die Kinder ihr Gewicht halten, und nicht durch Frustdiäten alles ins Gegenteil verkehren. „Die Kinder sind ja noch jung und wachsen in ihr Gewicht hinein“, meint Büssenschütt. Schlimmer, wenn vom Diätzwang und ständigem Maßregeln Essstörungen bleiben.

Am Anfang des Kurses steht eine Liste vom Ausmaß eines ganzen Ess- und Sporttages. Wieviel Schokoriegel, Nudeln, Pudding isst das Kind? Mehr sollte es nicht werden. Für weniger gibt es pro Tag einen Pluspunkt. Und wer mehr Sport macht, bekommt noch einen Punkt. Einzutragen in einem Wochenplan, den Büssenschütt mit den Kindern regelmäßig durchgeht: „Bei vielen Pluspunkten müssen die irgendwann Kilos verlieren, oder aber sie haben falsche Angaben gemacht.“

Falsche Angaben sind dabei gar nicht selten. Die Realität wird gern verleugnet. Da erzählen die Kinder von Äpfeln die gegessen wurden und von zurückgewiesener Schokolade. „In Wirklichkeit ist das nur Wunschdenken.“

Bundesweit boomt inzwischen das Geschäft mit den Dicken, soBüssenschütts Beobachtung. Die Nachfrage nach ihren Kurse wird immer größer. Zwei Drittel ihrer Kinder haben übergewichtige Eltern. Und über die Hälfte sind Scheidungskinder. Büssenschütts Konzept ist selbstgemacht: Sie kombinierte ihre Ausbildungs zur Ernährungswissenschaft und ihr Hobby Leichtathletik. Ähnliche Programme gibt es inzwischen in vielen Städten.

Am Anfang war die Traurigkeit. Büssenschütt sah Dickerchen, die ausgegrenzt und mit traurigem Blick in der Straßenbahn saßen. Die mit hängenden Schultern und lustlosem Schlurfgang ihre Kinder besuchten. Und wenn überhaupt nur am Computer spielen wollten. Jetzt wollen ihre „Pfundskinder“ am Ende auf den Barren. Auf eigenen Wunsch. Um zu sehen, dass sie es doch schaffen. pipe

Infos bei Antje Büssenschütt, Tel.: 44 27 92. 14 Doppelstunden kosten 200 Mark, die meisten Krankenkassen übernehmen bis zu 150 Mark.