DER PHILIPPINISCHE PRÄSIDENT HAT DAS MILITÄR UNTERSCHÄTZT
: Estradas letztes Rückzugsgefecht

Die Machtbalance ist gekippt, und die Wendehälse wechseln schnell noch die Seite. Die hunderttausenden Demonstranten allein hätten den korrupten philippinischen Präsidenten Joseph Estrada gestern wohl nicht dazu drängen können, sein Amt vorzeitig zur Verfügung zu stellen. Erst als sich die obersten Militärführer und immer mehr Minister demonstrativ auf der Seite der Demonstranten zeigten, war Estradas letzte Runde im Amt eingeläutet. Plötzlich gesellten sich sogar einige bisherige Anhänger des Staatschefs zu den Demonstranten, die wie ein Senator am Dienstag noch für die Unterdrückung von Beweismaterial im Korruptionsverfahren gestimmt hatten.

Estrada hatte zunächst gehofft, mit der nachträglichen Zustimmung zur Nutzung dieser Beweise die Gemüter noch einmal beruhigen zu können. Doch er erkannte die Gefahr zu spät – als das Militär und immer mehr Minister von ihm abrückten, begann das letzte Rückzugsgefecht des Präsidenten. Das kann jetzt sehr schnell gehen. Estradas Wunsch, bei den ohnehin für Mai vorgesehenen Parlamentswahlen auch über einen neuen Präsidenten abstimmen zu lassen und dabei auf eine eigene Kandidatur zu verzichten, ist der verzweifelte Versuch, Zeit zu schinden. Die braucht er auch, um die eigenen Schäflein ins Trockene zu bringen. Denn tritt Estrada heute zurück, muss er morgen mit Gefängnis rechnen. Findet der Machtwechsel erst in ein paar Monaten statt, spaltet der Wahlkampf nicht nur die Opposition, sondern gibt dem Nochpräsidenten Zeit, Spuren zu verwischen, Gunst zu erkaufen oder nach einem Exil zu suchen.

Die Opposition ist gut beraten, sich auf dieses Spiel nicht einzulassen. Estrada muss sofort gehen, um einen klaren Schnitt zu machen. Sollte der Machtwechsel in den nächsten Stunden oder Tagen gelingen, hat sich das Parlament der Straße in Manila mal wieder als reifer erwiesen als die Abgeordneten im Kongress. Zwar zeugt es von der Demokratiefähigkeit der philippinischen Bevölkerung, dass die „People’s Power“ als Notbremse dienen kann. Zugleich zeugt es jedoch auch von demokratischer Unreife, dass im Parlament überwiegend Abgeordnete sitzen, die nur ihre eigenen Interessen im Kopf haben. SVEN HANSEN